Donnerstag, 10. Dezember 2009

Adventsstimmung bei 25° aufwärts

So, diesmal keine lange Einleitung, sondern einfach erzählen, was die letzten Wochen so los war.

Am 30. November haben wir mit den "Chiguaguas", so nennt sich die Kindergruppe der 5 bis 9-jährigen in La Paloma, einen Día de Convivencia gemacht (wörtlich übersetzt so viel wie "Tag des Zusammenlebens"). Die Kinder kamen wie üblich ins Projekt, gingen nur dann nicht um fünf nach Hause, sondern blieben in La Paloma, um dort die Nacht zu verbringen. Nachmittags haben wir gemeinsam einen Ausflug zur Plaza des Nachbarortes Moron gemacht, um den dortigen Spielplatz inklusive Karussel zu nutzen... Mir scheint, da sind Kinder auf der ganzen Welt gleich: Sie finden's super, wenn man sie auf ein sich drehendes Gefährt setzt, sie vom Rand aus bejubelt und mit ihnen um die Wette rennt. Sobald wir nach dem Spielplatzabenteuer wieder nach La Paloma zurückgekehrt waren, begann auch schon das von den Educadores aufwändig vorbereitete Abendprogramm. Zuerst wurden eine Art kleine "Lagerolympiade" veranstaltet, bei denen die Kinder in mehreren Disziplinen (zB Plastikfische im Pool angeln) gegen uns Betreuer, die wir uns den furchteinflößenden Namen "Rotweiler" gegeben haben (als Pendant zum Gruppennamen der Kinder "Chiguaguas"), antreten mussten. Selbstverständlich haben die Rotweiler kläglich verloren ;) Als Preis gewannen die Kinder lauter kleine Taschenlampen, mit denen sie dann eine Schatzsuche durch das mitlerweile erdunkelte Projektgelände bestreiten sollten. Bis auf die vorher nicht berücksichtigte Tatsache, dass nur lediglich zwei von elf Kindern wirklich fit im Lesen und Schreiben sind und somit ihren Mitspielern im Lesen der Botschften immer eine nasenlänge voraus waren, klappte auch die sehr gut. Zum Abschluss des Abends wurde dann erst geduscht und Zähne geputzt, bevor die Kinder noch ein Eis essen (ja, so ist Argentinien... essen kann man immer, auch wenn man gerade erst Zähne geputzt hat!) und einen Film gucken durften. Da die Mehrheit der Kinder vom vollen Tagesprogramm ziemlich geschafft war, sind über die Hälfte bereits vor dem Fernseher eingeschlafen, sodass wir sie hinterher einzelnd in die Schlafräume tragen mussten. Das war ein sehr schöner Moment, als die großen Kinder, die durchgehalten hatten und noch wach waren, ganz behutsam mithalfen ihre Freunde und kleinen Geschwister in die Wolldecken zu betten und sie dabei bloß nicht aufzuwecken. Plötzlich liefen alle auf Zehenspitzen und unterhielten sich nur noch im Flüsterton, der sonst immer so laute und wuselige Ort La Paloma wurde auf einmal leise und still... Am nächsten Morgen frühstückten wir dann noch gemeinsam in der aufgehenden Sonne und anschließend verabschiedeten wir die Kinder nach Hause. Insgesamt fand ich den Día de Convivencia eine anstrengende, aber sehr schöne Aktion. Die Kinder hatten viel Spaß und haben eindrucksvoll bewiesen, dass sie sich, wenn sie wollen, gut miteinander vertragen und benehmen können, sodass dem Campamento (eine Art Ferienlager) nichts im Wege steht. Es war eben auch ein bisschen Sinn und Zweck dieser Übernachtung, mit den Kindern das gemeinsame Übernachten und Zusammenleben zu üben, da wir in einer Woche mit allen Kindern nach Baradero auf's Campamento fahren...
Um dafür noch ein bisschen Geld zu verdienen, haben wir Anfang Dezember das erste mal eine Peña veranstaltet. Eine Peña ist eine Art Dinnerabend, an dem Freunde, Bekannte und Angehörige des Projekts eingeladen werden und an dem in lockerer Atmosphäre ein bisschen Unterhaltungsprogramm geboten wird. Auf jeden Fall war es ein sehr schöner, beschaulicher Abend, den wir da auf die Beine gestellt haben. Es wurden Fotos aus den Aktivitäten des letzten Jahres gezeigt, eine Folkloregruppe hat gespielt und die Jugendlichen haben selbstgemachte Empanadas (typisch argentinische Speise: mit Fleisch gefüllte Teigtaschen) serviert. Überhaupt war es ganz toll, die sonst so vorlauten und frechen Jugendlichen an dem Abend zu sehen. Sobald die Gäste ankamen, waren sie wie ausgewechselt: höflich, zuvorkommend und ganz eifrig bei der Sache. Insgesamt hat sich die Peña auf jeden Fall gelohnt. Wir haben jetzt genug Geld, um ein schönes und entspanntes Campamento mit den Kindern machen zu können :-)
Des Weiteren habe ich am ersten Dezember meinen Adventsklender in La Paloma eröffnet. Zuerst habe ich erklärt, was ein Adventskalender überhaupt ist: dass man jeden Tag im Dezember ein Päckchen abschneiden darf, um die Tage bis Weihnachten zu zählen und dass in Deutschland fast alle Kinder so einen Adventskalender bekommen. Nachdem sie dann das Procedere verstanden hatten, durften sie das erste Päckchen öffnen, in dem sich die Ausstechförmchen von mir zu Hause und das Keksrezept meiner Oma befanden. Den Tag habe ich dann mit den Kindern in der Panaderia, der Bäckerei von La Paloma, verbracht, wo wir alle zusammen Weihnachtskekese gebacken haben. Zum Glück hatte ich den Teig schon vorbereitet, sodass die Kinder eigentlich nur noch die Kekse auszustechen und sie hinterher mit Zuckerguss und Schokolade zu bestreichen brauchten. Zwar sah die Panaderia hinterher aus ein Saustall und wir mussten über eine Stunde lang sauber machen, aber die Kekse schmeckten köstlich. Insgesamt also ein voller Erfolg, auch wenn der Tag für mich ziemlich komisch war, da am selben Tag die diesjährige Poolsaison im Projekt eröffnet wurde. Eigentlich sollte der Pool schon Anfang November wieder nutzbar sein, doch da die Jugendlichen die Aufgabe hatten, den Pool zu reinigen, zu schleifen und neu zu streichen, diese Aufgabe allerdings anfangs nicht so ernst genommen haben, zog sich die Vorbereitung also bis Anfang Dezember. Das ist eben auch Teil der Erziehung von La Paloma: Wenn man etwas will, muss man es selber machen und sich drum kümmern! So kam es also das wir am 1.Dezember erst Weihnachtskekse gebacken haben und hinterher in den Pool gehüpft sind - krasses Kontrastprogram! Jedenfalls für mich... die Argentinier im Allgmeinen lassen sich auch trotz drückender Hitze und Temperturen jenseits der 20°C nicht in ihrer vorweihnachtlichen Stimmung trüben. Die Einkaufsstraßen werden geradezu überflutet mit quietschbunte Plastikbäumchen, dudelnde Retirfiguren und blinkende Lichterketten. Manchmal vermisse ich da den Moment des heißen Glühweintrinkens auf dem Weihnachtsmarkt beim üblichen Kieler Schmuddelwetter.
Neulich waren wir beim Konzert von Manu Chao (für die, denen der Name nix sagt: ein ziemlich cooler, international bekannter Reggaemusiker). Das Konzert war auf jeden Fall zeimlich fett, mega viele Leute, die alle in einer mehr oder minder großen Wolke schwebten. Manu Chao hat auch eigentlich in einem Zug alle seine Songs durchgespielt, ohne zwischendurch große Moderationspausen oder sonstiges zu machen. Der Abend glich eher einer ewigen Jamsession zwischen ihm und seiner Band. Kurz vor Ende des Konzertes kam eine Indianerin auf die Bühne, die eine mehr oder weniger emotionale Ansprache hielt und zum Einsatz für den Erhalt der Gebiete der indigenen Völker im Norden des Landes aufrief. Ziemlich beeindruckender Auftritt auf jeden Fall... Leider habe ich keine Fotos von dem Konzert, da sich nach den Erfahrungen des Tote Hosen-Konzerts keiner getraut hat, eine Kamera mitzunehmen.

Da der letzte Dienstag hier in Argentinien ein Feiertag war, habe ich die Gelegenheit genutzt, mir den Montag freizunehmen und so ein langes Wochenende (4 Tage) mit anderen Voluntären in Mar del Plata, einem Badeort an der argentinischen Küste, etwa 6 Stunden Busfahrt südlich von Buenos Aires, zu verbringen. Leider ging das Wochenende für mich eher unschön los. Am Samstagmorgen wollten wir um 9 Uhr den Bus nach Mar del Plata nehmen, das hieß, dass ich um halb 7 hätte aufstehen müssen, umnoch die letzten Sachen zu packen und dann zur Busstation nach Quilmes zu fahren. Da ich allerdings vom Abend vorher, an dem die Peña in La Paloma stattgefunden hatte, noch so müde war, habe ich volle Kanne verschlafen!! Unter größter Panik bin ich um 8.15 Uhr, noch im Schlafanzug, ins Taxi gestiegen, hab dem Taxifahrer im Kommandoton den Ernst der Lage erklärt und ihn gebeten doch bitte ordentlich auf die Tube zu drücken, was der Gute auch gemacht hat. Hinzu kam, dass ich auch ncoh die Tickets für Lisa und Laura, zwei andere Voluntärinnen, hatte, sodass im schlimmsten Falle nicht nur ich, sondern auch die Mädels den Bus verpasst hätten. Naja, zum Glück kam das Taxi noch rechtzeitig an der Busstation in Quilmes an, sodass ich nciht zu spät kam. Im Gegenteil: Der Bus hatte schlussendlich sogar ne halbe Stunde Verspätung... Wir sind halt in Argentinien!
In Mar del Plata angekommen, ging es für mich leider nicht viel besser weiter, da ich seit langem mal wieder von einer schönen, dicken Migräneattacke geplagt wurde und die ersten anderthalb Tage quasi erst mal nur im Bett verbrachte. Naja, war aber schlussendlich gar nicht sooo schlimm da das Wetter anfangs sowieso eher trüb und grau war. Gewohnt haben wir übrigens in einer Ferienwohnung von Bekannten von Fenjas Gastfamilie, die uns ihr Apartement über das Wochenende für kleines Geld vermietet hatten. Zwar war es mit 6 Leuten in der eigentlich für max. 4 Personen ausgelegten Wohnung etwas eng, dafür lag sie direkt im Stadtzentrum, weshalb wir uns sowieso nciht viel drinnen aufhielten, sondern meistens unterwegs waren. Wir haben uns die klassischen Sehenswürdigkeiten von Mar del Plata angeguckt (Seelöwen im Hafen, Strandpromenade usw....), haben die Sonne am Strand genossen, waren feiern und haben die dort lebenden Voluntäre besucht. Einen Abend sind wir sogar ins Casino gegangen. Eine sehr lustige Erfahrung war das - überall rauchende Menschen in schicken oder weniger schicken Klamotten, die ihr großes Geld verzocken. Von uns hat Lisa am meisten abgeräumt. Die Gute hat einfach mal 2 Peso (ca. 40cent) in so nen bunten Automaten geworfen, ein mal den Knopf gedrückt und zack: 150 Peso gewonnen (immerhin fast 30€) !! Ich bin am Ende immerhin nicht mit einem Minus, sondern einem Plus von 15 Peso (ca. 3€) rausgegangen. Fazit meines ersten Casinobesuches: Casino ist ein Ort des großes Geldes, an dem man nicht unbedingt die Spiele verstehen muss - man kann auch einfach so was gewinnen! Trotzdem glaube ich, dass ich irgendwann gerne noch mal mit meinem Papa ins Casino gehen würde, damit mir mal jemand die ganzen Regeln am Roulettet, Black Jack und Poker erklärt.
Die letzten beiden Tage haben wir eigentlich nur am Strand gechillt und haben schöne Fotos mit roten Weihnachtsmützen am Strand geschossen, um die Daheimgebliebenen neidisch zu machen (hehe ;)Zwar leide ich gerade unter dem größten Sonnenbrand meines Lebens, aber noch rede ich mir erfolgreich ein, dss das ja alles bald von rot zu braun wird. Alles in allem gefiel mir Mar del Plata schon ziemlich gut, auch wenn es ein typischer Touriort an der Küste ist. Es gab ziemlich viele Hotels, Hochhäuser, Restaurants und Nachtclubs, aber dafür auf der anderen Seite auch wunderschöne Strände mit tollen Wellen zum Surfen.

Auf den letzten Metern des Jahres 2009 stehen jetzt noch ziemlich viele Dinge in meinem Terminkalender. Besonders in La Paloma gibt es in den nächsten zwei Wochen noch ziemlich viel zu tun: Jahresabschlussfest, Campamento, Mitarbeiterfeier usw... viel Stress, aber ich freu mich drauf. Und am 23. Dezember gehts dann schon ab ins Flussdelta Tigre, wo ich mit den anderen zusammen die Weihnachtsfeiertage verbringen werde.
Ich hoffe, ich schaffe es noch, irgendwann in diesem Jahr noch einen weiteren Eintrag zu schreiben, bevor ich mich auf meine große Rucksacktour durch Südamerika begebe.
Eine schöne Adventszeit und ein friedliches Weihnachtsfest wünscht euch
eure Merle

Freitag, 27. November 2009

"Das Gespenst der (Un-)Sicherheit in Argentinien"

Der folgende Artikel ist vor kurzem in unserem Boletín Voluntariado (einer Art „Newsletter“ für die Freiwilligen der IERP) erschienen. Arturo Blatezky ist Pfarrer der ev. Kirche am Rio de la Plata und arbeitet außerdem für die Menschenrechtsorganisation MEDH, mit der die IERP eng zusammenarbeitet. Ich habe Arturo bereits während unseres Einführungsseminars im Isedet kennengelernt und ihn als sehr beeindruckenden, authentischen Mann erlebt, der unheimlich viel Erfahrung auf dem Gebiet der Menschenrechtsarbeit hat.
Arturo hat nun wie gesagt im letzten Boletín einen Bericht zum Thema „Unsicherheit in Argentinien“ geschrieben, den ich für sehr gut und anschaulich halte, und ihn euch daher nicht vorenthalten möchte.
Vorab sollte man jedoch wissen, dass die gesellschaftliche Situation hier in Argentinien ziemlich verfahren ist. Auf der einen Seite dominiert die große Schere zwischen Arm & Reich das Leben der Menschen, auf der anderen Seite das Problem der immensen Korruption. Die Menschen hier (vor allem die jüngeren Generationen) haben einfach null Vertrauen in Polizei und Justiz, da beide Instanzen nicht gegen das bestehende Unrecht ankämpfen, sondern im Gegenteil, sogar in vielen Fällen Quelle desselbigen sind. Die Fälle, von denen Arturo in seinem Artikel berichtet sind bestes Beispiel für die Zustände hier in Argentinien. Mir blieb der Mund beim Lesen offen stehen, gerade weil ich weiß, dass die Sachen wirklich erst vor kurzem so passiert sind.
Da der Originaltext ziemlich lang ist, habe ich ihn für diesen Post hier gekürzt. Wer aber gerne den vollen Artikel lesen möchte, kann rechts einfach auf den entsprechenden Link klicken.
Wem’s zu viel Text ist, kann ja einfach nach unten scrawlen – dort gibt’s dann wieder friedliche, schöne Worte von mir zu lesen ;)


EIN GESPENST GEHT UM IN ARGENTINIEN - DAS GESPENST DER UNSICHERHEIT...


Macri – De Narvaez & Co.: „Die unpolitischen Unternehmer-Politiker“
[…] ¿Wie sieht die „Schaffung von Sicherheit für die anständigen Bürger“ durch Bürgermeister Macri in der Stadt Buenos Aires aus? Das beste Beispiel ist ohne Zweifel die Schaffung der UCEP-Brigade, der „Einheit für die Kontrolle der Allgemeinen Öffentlichkeit“.
Konkret besteht diese Massnahme darin, dass eine –geheime- Gruppe von zivilen Stadtangestellten eingestellt wurden, die nachts durch die ärmeren und verborgenen Gegenden der Stadt Buenos Aires in Privatwagen patrouilliert um Bettler und Homeless, die zu Hunderten unter den Brücken der Autobahnen, Vordächer o.ä. zu übernachten versuchen, mittels mehr oder weniger eindeutiger, leichterer oder schwerer Gewalt vertreiben. Diese Aktionen der UCEP-Brigade gingen so weit, dass selbst der Oberkommissar der für die Stadt zuständige Staatspolizei sich von ihnen distanzierte und abstritt, etwas damit zu tun zu haben. Aber das ändert nichts daran, dass das Macri-Dekret besteht und die UCEP in ihrer Handlungsfreiheit sogar ausdrücklich ausgeweitet wurde. Ihr offizielles Büro und Handlungsbasis ist […] im Zentrum von Buenos Aires und ihre Aktionen werden öfters mit LKW´s der privaten Müllversorgung der Stadt begleitet und unterstützt. Ebenso wie von privaten PKW´s in denen jeweils mehrere große, athletisch gebaute Männer mitfahren, die sich alle durch schwarze Uniformen auszeichnen.

Wir begleiten und zeigen diese gewalttätigen Übergriffe von staatlich-angestellten illegalen Schlägerbanden seit einiger Zeit gemeinsam mit der katholischen Gemeinde der Klaretianer von Constitución an, dem wichtigsten Endbahnhof der Züge, die aus Patagonien und dem Süden einlaufen.
Ein guter Freund, Pfarrer Jorge Alonso hat vor Gericht folgendes ausgesagt:
“Es war etwa um 12 Uhr nachts als ich von der Strasse –von unterhalb der Autobahn her- Schreie hörte. Es war ein mir sehr gut bekannter Mann, der seit einiger Zeit neben der Mauer unserer Gemeinde übernachtet und manchmal kommt um Essen, Mate-Tee, Zucker o.ä. zu verlangen. Ich schaute aus dem Fenster und bemerkte etwa 18 bis 20 junge Männer, alle in schwarzer Uniform, die auf den Mann zuredeten. Dann stiegen sie in ihre Autos und fuhren weg. Am nächsten Tag kam der Mann zu mir und erzählte, sie hätten ihn bedroht, er solle machen dass er dort wegkäme. Der (66. jährige) Mann war sehr verängstigt und sprach nur davon, dass sie ihm damit gedroht hatten, nächstes Mal würden sie ihn wegprügeln.
Es ist genauso, wie es unser Kardinal Bergoglio immer wieder sagt: Die Menschen sind für die Regierung dieser Stadt überflüssig, man kann sie behandeln wie Wegwerfmüll. […]


Die wahren Opfer der “Unsicherheit der kapitalistischen Gesellschaft”


Carlitos – 14 Jahre

Wenige Dinge haben mich in meinem Leben so bewegt wie die Beerdigung des 14. jährigen Carlitos.
Carlitos lebte mit seiner Familia wie die anderen 45 bis 50 Tausend Menschen im Elendsviertel “Villa Itatí” in âusserster Armut. Er sammelte zusammen mit seiner Schwester und seinen Eltern Papier, Pappe, Flaschen und was sonst im Müll noch wiederverwertbar ist. Gleichzeitig besuchte er die nahe gelegene Abendschule.
Ein Leben wie das der anderen Jungen seines Alters in “Villa Itatí”. Auch sein Tod war ein Tod wie viele andere alltägliche Tode in “Villa Itatí” und den anderen Elendsvierteln des Armengürtels um Buenos Aires.

An einem heissen Herbstsonntag im April spielte Carlitos barfuss und nur mit Shorts bekleidet Fussball auf dem freien Platz zwischen den beiden Spuren der Autobahn die “Villa Itatí” von “Villa Azul” trennt.
In der Halbzeit gab ein Zuschauer Carlitos Geld um im nahen Kiosk für die Spieler eine Cola zu kaufen.
Als Carlitos vor dem Kiosk stand hielt ein Auto plötzlich an, ein Mann stieg aus und schoss ihm ohne ein Wort zu sagen aus nächster Nähe 2 Kugeln in den Hinterkopf.
Als die Zuschauer des Spieles die kurze Strecke gelaufen kamen war Carlitos schon tot: Der Mann gab sich als Polizist außer Dienst zu erkennen und entschuldigte sich damit dass “er meinte den Jungen vor kurzem bei einem Überfall gesehen zu haben, aber er könne sich irren, da die ja alle gleich aussehen...”
Als die entsetzten und wütenden Nachbarn und Zuschauer begannen auf den Mann einzuschlagen und sein Auto umzustürzen versuchten, war die Polizei gleich zur Stelle, da ja der Krater, den “Villa Itatí” bildet bei Tag und Nacht von Streifenwagen umgeben ist. Die Polizei jagte die Menschen mit Gewalt auseinander.
Als nach längerer Zeit ein Wagen des zuständigen Kommissariats eintraf und damit begann, den Toten zu untersuchen, bemerkten die Familie und Nachbarn, wie unter dem Toten ein Revolver hervorgeholt wurde, den Carlitos nie –halbnackt, wie er war- bei sich gehabt haben könnte. Es war wieder einmal die unter uns alltägliche übliche Art und Weise, das Opfer zu beschuldigen um den Täter zu entlasten.
Der Polizeioffizier wurde schon am nächsten Tag entlassen ohne weiter von der Justiz verfolgt zu werden.

Für mich war die Beisetzung von Carlitos nicht nur wegen des unbeschreiblichen und ungesühnten Mordes einzigartig: Da seine Familie in einer kleinen Holzhütte lebt, in der unmöglich auch nur ein kleiner Sarg Platz findet (Carlitos war für sein Alter klein gewachsen), fand seine Aufbahrung und Trauerfeier am Rande der Autobahn statt, so dass unentwegt Fernbusse, Laster und Autos an uns vorbeirasten. Auch die Pferdchen von etwa 50 Wägelchen, die mit ihren jeweiligen Papiersammlerfamilien dabeistanden, sorgten nicht gerade für Stille und Besinnlichkeit: Es wäre sicher auch eine Zumutung gewesen, von diesen Menschen angesichts des ebenso grauenhaften wie zynischen und maßlos aufreizenden Mordes an einem kleinen Jungen, der einer der ihren war und den sie aufwachsen sahen, so etwas wie Stille und Besinnlichkeit zu erwarten.
Der Zug zum Friedhof wurde für mich zum unvergesslichen Erlebnis: Ich saß mit den Angehörigen auf einem der mindestens 50 wie Schilfboote inmitten des Grosstadtverkehrs unsicher schaukelnden und holpernden Wägelchen mit ihren kleinen Pferdchen, im Talar die riesigen Busse und LKW´s wie Ozeanriesen beachtend, die an uns vorbeirauschten: Die Welt aus einer ganz anderen Perspektive, ganz von unten, ganz von den Kleinen aus, ganz aus der Unsicherheit derer heraus, die man straflos sowohl erschießen wie anrempeln und umstürzen kann.

Von der Beerdigung selbst erinnere ich nur den Anblick der wohl über 50 Wagen und Pferdchen, die alle in den Friedhof hinein- und so nahe ans Grab fuhren, dass sie im Gewimmel etwas sehen und hören konnten.
Und fast an jedem Wagen handgemalte Plakate, die sicherlich die eigentliche und entscheidende Ansprache und Predigt waren. Auf dem rechten Foto sieht man eines dieser Plakate mit dem ebenso berechtigten wie verzweifelten und zur Sprachlosigkeit zwingenden Aufschrei: “SCHLUSS MIT DEM MORD AN DEN UNSCHULDIGEN!”


Diego-16 J., Elias-15 J., Miguel-17 J., Manuel-17 J.


Es ist leicht berichtet aber fast nicht zu glauben, was in der Nacht vom 20 Oktober 2004 in der zentralen und wichtigsten Polizeistation in der Innenstadt von Quilmes geschehen ist.
17 Minderjährige warteten –z.T. seit Monaten- darauf, von der Jugendjustiz in ein Entziehungsheim für Rauschgiftabhängige überführt zu werden. Die Prozedur ist ebenfalls so einfach wie unglaublich: Da es sich allesamt um arme Minderjährige handelte, deren Familie keine Entziehungskur bezahlen können, müssen sich die Minderjährigen selbst dem Richter stellen und sich selbst als Gesetzesbrecher anklagen, da sie nur so auf Staatskosten eingeliefert werden können. Da Rauschgiftkonsum aber eine strafbare Handlung ist, wurden sie augenblicklich als Delinquenten inhaftiert, und da die beiden 4-Bettzellen überfüllt waren, waren in der Nacht des Grauens in einer Zelle 10 und in der anderen 7 Kinder eingepfercht.
Aber das war nichts im Vergleich zu dem, was geschehen sollte

Den Nachmittag über hatte einer der Jungen, der 16 jährige Diego verzweifelt verlangt seine Eltern besuchen zu dürfen: Er hatte von diesen einen Brief bekommen in dem stand, sein kleiner Bruder sei schwer krank. Unverständlicherweise hatte irgendjemand innerhalb der Polizeistation den Text –vor seiner Übergabe an Diego- dahingehend verändert, dass nun zu lesen war, sein kleiner Bruder sei gestorben.
Diego, der in der 10-Zelle inhaftiert war, begann sich wie wild zu gebärden, so dass er mehrmals von den wachhabenden Polizisten mit dem Gummistock geschlagen wurde. Schließlich entstand ein allgemeiner Aufruhr und die Polizisten kamen in die Zelle und schlugen erbarmungslos auf alle 10 Jungen ein, die weiterhin laut um Hilfe riefen in der Hoffnung, durch das einzige Fenster, das zur Strasse führt, von Menschen gehört zu werden. Der Aufruhr entflammte auch in der anderen Zelle, so dass auch die anderen 7 Jugendlichen rücksichtslos von der Polize geschlagen wurde.
Als alles nichts half, zündeten die Jungens ein Teil eines Schaumgummikissens an, in der Hoffnung, die Fußgänger würden den entstandenen Rauch sehen und die Polizei würde die Zelle öffnen müssen.

Was hingegen geschah ist unvorstellbar: Allen Anzeichen und Untersuchungen nach schüttete jemand von außerhalb Benzin oder Kerosin unter die Blechtüre der 10.Zeller, so dass sich das Feuer in dem Raum, in dem 10 Menschen zusammengepfercht waren, explosionsartig ausbreitete. 4 der Jungen starben in den nächsten Stunden, nachdem sie noch einmal –trotz schwerster Brandwunden- zusammengeknüppelt wurden. Manche von ihnen wurden stundenlang in Streifenwagen herumgefahren, bis sie –alle 10 weit zerstreut voneinander, damit ihre Angehörigen sich nicht treffen und gemeinsam etwas unternehmen konnten- in Hospitäler eingewiesen wurden.


Ich hab Diego und seine Familie gut gekannt, so dass die Mutter mich bat die Trauerfeier und Beerdigung zu leiten. Ich hab´deshalb Diego aus nächster Nähe lange gesehen: Sein Sarg wurde wieder –wie der von Carlitos- mitten in einem Gang des Elendsviertels „Villa Itatí“ aufgebahrt, da auch die Hütte der Familie Maldonado viel zu klein für einen Sarg plus Trauergemeinde war. Ich kann bezeugen, dass die Kinder nicht vom Rauch des Schaumstoffkissens erstickt sondern verbrannt sind. Diegos Gesicht und Hände waren noch im Tod leuchtend rot, ohne jegliche Hautreste, denn die waren alle verbrannt; Diego hatte auch nicht den geringsten Russfleck an den Händen oder im Gesicht: Die –um Jahre verspätete Untersuchung- stellte fest, dass alle 4 Jungen den inneren Brandwunden der Atemwege erlegen sind und keiner Rauchvergiftung, wie es die ersten Befunde der eigenen Polizei bekannt gegeben haben.
Nach 5 Jahren warten die Angehörigen immer noch auf die Gerechtigkeit der Menschen: Bisher wurde kein einziger Polizist wegen dieser 4 Morde verurteilt.

Ich werde nie die letzte Szene vergessen, die ich an Diegos Grab erlebt habe.
Als alle Menschen gegangen waren, blieb ich auf einige Entfernung stehen und schaute zurück.
Da sah ich, dass Diegos Schwester vor dem Grab kniete. Ich ging zu ihr zurück um sie zu umarmen, als ich bemerkte, dass sie eine kleine Zigarette, aus Zeitungspapier und Hasch gedreht, entzündete und in die Erde des frischen Grabhügels steckte. Sie sagte: „Vielleicht hilft es ihm, ein wenig Ruhe zu finden“.

Was wir von der Ökumenischen Menschenrechtsbewegung meinen:

Schon vor vielen Jahren, im April 1988 haben wir folgendes bekannt gegeben:
“Wir vom MEDH sehen mit größter Sorge den Vormarsch von Kriterien einer angeblichen „Sicherheit“, die weder die sozialen Interessen verteidigen und noch viel weniger die Nöte der Minderjährigen, sondern die einzig und beharrlich das Weiterbestehen einer repressiven Mentalität beweisen, die zur Genüge bewiesen hat, dass sie absolut schädlich für alle Menschen ist, nur nicht für diejenigen, die sie ausüben und sich dadurch bereichern. Man muss deshalb das gesamte Sozial- und Rechtssystem, insofern es mit Kindern und Jugendlichen zu tun hat, von Grund auf verändern. Wir werden nie dadurch eine größere „Sicherheit“ erreichen, dass wir eine noch stärkere und ausgeweitete Repression der Kinder errichten, mit stärkeren Gittern und größeren Vorhängeschlössern: ¿Wie sollten wir auch unsere armen Jugendlichen davor schützen, gegen das Gesetz zu handeln, während die Folterer und Mörder der Diktatur frei und straflos unter uns umherstolzieren? Wir sehen mit Entsetzen, dass es viele Richter gibt, die unsere Kinder dem „Gewahrsam“ jener professioneller kriminellen Schergen der Diktatur übergeben wollen, die weiter ihr Unwesen treiben“.

Arturo Blatezky
Mai 2009

Dienstag, 24. November 2009

offizielle Berichte

Ich hab's mit der freundlichen Hilfe des weitaus computerbewanderteten Bennys (Gracias an dieser Stelle!) endlich geschafft, meinen ersten offiziellen Zwischenbericht, den ich Ende Oktober für meine Entsendeorganisation in Deutschland schreiben "musste", online zu stellen. Rechts an der Seite findet ihr jetzt also den entsprechenden Link dazu - einfach anklicken, dann kann man den Bericht lesen und bei Bedarf auch runterladen und abspeichern.
Toll, was das Internet so alles kann oder?

Freitag, 13. November 2009

... immer auf Achse

Buenas Noches Todos !!

Ich weiß... Asche auf mein Haupt, dass ich nun schon soooo lange nichts mehr geschrieben habe. Tut mir wirklich leid! Aber ich hatte im letzten Monat wirklich viel zu tun, proppevolle Wochenenden, viele viele neue Dinge... Da hatte ich einfach nicht die Zeit zum Schreiben, aber vor allen Dingen fehlte mir die Ruhe dazu, da man ja irgendwie immer erst einmal selber die ganzen Ereignisse duchdenken und sich setzen lassen muss, bevor man sie zu Texten weiterverarbeitet.
So, dafür aber jetzt. Was ist in den letzten Wochen alles passiert?
Anfang Oktober war ich, trotz meiner sonstigen Abneigung gegen Fußball, mit vier anderen Voluntären bei dem Länderspiel Argentinien gegen Peru. Dieses Spiel war besonders wichtig, da es für Argentinien um die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2010 ging. Insgesamt war der ganze Tag ein super Erlebnis! Bereits auf dem Weg zum Stadion, auf dem wir uns einfach von den MenschenMASSEN haben mitziehen lassen, herrschte eine Megastimmung. Überall hörte man Sprechchöre und Murgatrommeln, die die Menge anheizten. Der große Wow-Effekt kam dann, als wir das Stadion betraten: Ich habe noch nie so ein riesiges Fußballstadion gesehen (wenn doch, kann es nicht so beeindruckend gewesen sein, da ich mich offensichtlich nicht dran erinnere) ! Während die erste Halbzeit eher langweilig war, gestaltete sich die zweite dafür umso spektakulärer. Erst fiel ein Tor (juchu! große Erleichterung in ganz Argentinien), dann fing es auf einmal an, wie aus Kübeln zu gießen und zu gewittern, worauf weder Fans noch Spieler vorbereitet waren. Als dann auch noch Peru ein Tor schoss, glich die Situation dem Weltuntergang - doch dann, in der vorletzten Minute der Nachspielzeit, kam das erlösende 2:1 für Argentinien! Das Stadion tobte und Diego Maradonna hat vor Freude einen Bauchklatscher auf dem schwimmenden Rasen hingelegt, der am nächsten Tag in sämtlichen Zeitungen Argentiniens auf der Titelseite zu bewundern war. Am beeindruckendsten waren für mich die "Sicherheitsvorkehrungen", die bei solchen Fußballspielen gelten. Schon auf dem Hinweg kamen uns ein riesiger Trupp an Polizisten entgegen, die allesamt mit Schlagstöcken und Schusswaffen bewaffnet waren. Außerdem wird auf Fußballtunieren grundsätzlich kein Bier verkauft, da das Gewaltpotenzial anscheinend auch nüchtern schon hoch genug ist... die Schimpftiraden, mit denen die Argentinier ihre peruanischen Gegner beschimpften, hinterließen auf jeden Fall einen bleibenden Eindruck. Während man auf deutschen Fußballplätzen vielleicht Ausdrücke wie "Schweine" oder "Weichei" hört, legen die Argentinier gleich mit richtig harten Kraftausdrücken los. Hinter mir saß ein kleiner Junge, der mit seinem Vater das Spiel angeschaut hat. Beide, sogar der Kurze, schrien unentwegt "Hijo de Puta" und "Concha de tu madre", als ein peruanischer Spieler verletzt auf dem Rasen lag (ich lasse das an dieser Stelle mal unübersetzt - wen's wirklich interessiert, kriegt's schon irgendwie raus). Ich bin zwar immer noch nicht zum großen Fußballfan geworden (auch wenn sich das Thema hier in Argentinien einfach nicht umgehen lässt...), aber insgesamt war es eine atmosphärisch einmalige Erfahrung!
Am selbsen Wochenende habe ich mit Hannah, einer weiteren Freiwilligen aus BsAs, einen Tagesausflug nach Tigre gemacht. Tigre ist eine wunderschönen Insellandschaft, die sich im Flußdelta des Rio de la Plata, also im Norden von BsAs, befindet. Wir haben eine kleine Bootstour durch's Flußdelta gemacht, die eine oder andere kleine Insel bewandert und einfach die schöne Natur genossen. Man hat sich wirklich gefühlt,als würde man im Dschungel umherwandern... Schon lustig, dass sich so eine kleine, andere Welt nur eine Stunde Zugfahrt von der Riesenstadt BsAs entfernt befindet. Auf jeden Fall hat uns unser Ausflug dorthin so gut gefallen, dass wir uns mal nach Möglichkeiten zur Übernachtung dort erkundigt haben. Und siehe da: Wenn alles glatt läuft, mieten wir mit ein paar anderen Freunden über Weihnachten ein kleines Häuschen am Fluss und feiern dort gemeinsam Weihnachten unter Palmen.
Es geht weiter, ich hab noch mehr Ausflüge unternommen in letzter Zeit:
Ende Oktober bin ich zusammen mit Mitarbeitern aus meinem Projekt für ein Wochenende nach Villa Gessel gefahren. Der kleine Ort liegt an der Südküste Argentiniens und ist ein beliebtes Urlaubsziel der Einheimischen. Man spricht hier auch von "ciudades fantasmas" - zu dt. Geisterstädten, da diese Kleinstädte am Meer im Winter wie menschenleer erscheinen und im Sommer vor lauter Urlaubern und Touristen geradezu explodieren. Zum Glück zählt der Oktober hier noch zum Frühling, weshalb ich wohl so das Mittelstadium erlebt habe. Jedenfalls fand an dem Wochenende eine von der Universität BsAs ausgerichtete Fortbildung für sämtliche Berufe der sozialen Arbeit, Psychotherapie oder Entwicklungshilfe statt. Auch wenn ich lange nicht alle Vorträge, die an diesem Wochenende gehalten wurden verstanden habe, so hat es doch eine Menge Spaß gemacht. Es gab zwischendurch immer mal wieder kleine Workshops zu Themen wie "Kunst & Musik", "Bodyexpression" oder "mediale Arbeit", die ziemlich lustig waren, sobald man die eigene Hemmschwelle erst einmal überwunden hatte. Außerdem ist Villa Gessel wirklich ein wunderhübscher kleiner Ort, der sich eben direkt am Meer befindet. Vielleicht ein bisschen mit Eckernförde vergleichbar... Auf jeden Fall hab ich es genossen, mal wieder am Strand zu sein und mit den Füßen im Meer zu stehen, auch wenn es nicht die Ostsee war ;) Ein weiterer "Erfolg" dieses Wochenendes in Gessel war, dass ich meine Mitarbeiter noch mal näher und besser kennengelernt habe. Wir haben zu siebt in dem dortigen Ferienhaus unserer Chefin gewohnt, viel Musik gemacht, geschnackt, getrunken und natürlich Asado gegessen! Dabei wurde ich quasi dazu genötigt, das argentinische Fleisch in den Himmel zu loben (es war aber auch wirklich sehr lecker!), durfte aber dafür im Gegenzug auch noch ein Plädoyer auf das deutsche Bier halten, denn das ist nun wirklich besser als die Plörre, die sie hier verkaufen. Insofern hat sich das Wochenende auf sprachlicher, kultureller und zwischenmenschlicher Ebene voll gelohnt!
Ein absolutes Highlight der letzten Wochen war außerdem das Konzert der TOTEN HOSEN - jaha, richtig gehört. Aus irgendeinem Grund, ich weiß selbst nicht so genau warum, sind die Toten Hosen hier in Argentinien äußerst bekannt und beliebt. Anfang November traten sie daher im Rahmen eines großen, jährlich stattfindenden Musikfestivals auf. Da wir schon seit langem davon wussten, haben wir es tatsächlich hinbekomen, einen Trupp von über 20 Leuten zusammenzutrommeln, mit denen wir dann auf's Festival gegangen sind. Da es leider an dem Tag geregnet hatte, stand das ganze open air Festivalgelände unter Wasser bzw. Matsch (ich hab am nächsten Tag eine Stunde damit verbracht, den Dreck von meinen Turnschuhen zu schrubben). Doch pünktlich zum Auftritt der Hosen hörte es dann auf zu regnen, sodass ohne Probleme gerockt werden konnte. Im Ernst: Es ist der reinste Wahnsinn, wie die Argentinier abgehen können, wenn sie nur jemand ordentlich anheizt, was Campino weiß Gott geschafft hat. Außerdem war es irgendwie lustig, inmitten einer Masse argentinischer Fans zu stehen, die lauthals die deutschen Texte mitgröhlen können, obwohl sie null Ahnung haben, was da eigentlich gesungen wird. Unter folgendem Link findet ihr übrigens einen kurzen 5-min Bericht des ZDFheute-Journals über das Konzert der Toten Hosen in BsAs: http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/878050/Die-Toten-Hosen-in-Buenos-Aires-#/beitrag/video/878050/Die-Toten-Hosen-in-Buenos-Aires

Leider war der Tag auf dem Festival nicht nuuur super. Grundsätzlich wird auf Konzerten hier in Argentinien immer sehr viel geklaut, wovon auch unsere Gruppe nicht verschont blieb. Insgesamt wurden uns zwei Digitalkameras, ein Handy und noch diverser Kleinkram geklaut - einfach so aus der Jackentasche raus, ohne dass man was gemerkt hat. Einer Freiwilligen wurde sogar die Handtasche von unten aufgeschlitzt. Ich hatte zum Glück erst gar keine Wertsachen mitgenommen, sonst wären die jetzt bestimmt ebenfalls weg. Tja, dass ist eben auch Argentinien... ordentlich Party machen, aber dabei auch ordentlich abstauben.
Vergangenes Wochenende sind Hannah und ich gemeinsam für ein paar freie Tage nach Paraguay gefahren, wo wir zwei weitere Voluntäre der IERP, Benny und Nina, in ihrem Projekt besucht haben. Dieser Trip bot sich sowieso an, da wir auf Grund unseres abgelaufenen Einreisestempels ein mal das Land verlassen mussten, um unser Touristenvisum, das halt immer nur drei Monate gültig ist, bei der Rückreise zu erneuern. Am Samstag haben wir Bennys Geburtstag gefeiert und "zufälligerweise" fand gerade an dem Samstag auch noch das große "Chopfest", ein Art Abklatsch vom Oktoberfest im Kleinformat, statt. Es gab Festzelte, Schlagermusik und litterweise labbriges, dafür hochprozentiges Bier. In dieser fröhlichen, ausgelassenen und irgendwie "pseudo-deutschen" Atmosphäre feierten wir dann bis in den Morgen. Insgesamt war der Trip nach Paraguay sehr sehr schön. Es macht immer Spaß, sich mit den anderen Voluntären zu treffen, Erfahrungen auszutauschen und einfach ein bisschen zusammen zu chillen, was wir auch ausgiebigst getan haben. Großteile der Zeit verbrachten wir mit gemeinsamem Kochen, im Pool baden und am Lagerfeuer sitzen. Allerdings haben wir auch einen kleinen Ausflug zu den Ruinen der Jesuitenreduktion in Paaguay gemacht, die heute angeblich Teil des Weltkulturerbes sind.
Was mir insgesamt am meisten gefallen hat, war, Paraguay als Land kennenzulernen, da es sich wirklich komplett von dem, was ich bisher aus Argentinien gewohnt bin, unterscheidet. Die Natur ist ziemlich beeindruckend, überall gibt es saftgrüne Wiesen und rote Erde. Dennoch kann die Schönheit der Natur nicht über die Armut der Menschen hinwegtäuschen. Als wir eine der insgesamt zwei Straßen (kein Scherz: in ganz Paraguay gibt es nur zwei Rutas, die dafür durch's ganze Land führen) langgefahren sind, sah man eine kleine Farm neben der nächsten - und sonst nichts! Die Menschen leben eben mit ihren großen Familien in viel zu kleinen Häusern. Außerdem fehlt, wie mir schien, jegliche infrastrukturelle Versorgung. Wenn man Glück hat, hat man Zugang zu fließendem Wasser und unzuverlässigem Strom. An Telefon- oder sogar Internetleitungen ist für die meisten Menschen gar nciht erst zu denken. Doch trotzdem machten fast alle Menschen, die ich getroffen habe, einen wahnsinnig liebevollen und offenen Eindruck auf mich. Man lebt zwar spartanisch, aber dafür fröhlich und vor allem spontan! In Paraguay hab ich außerdem Dinge erlebt, an die in BsAs überhaupt nicht zu denken wären. So sind wir innerhalb der vier Tage, die wir dort waren, insgesamt drei mal getrampt - Daumen raus, Wagen anhalten und zack: schön zu sechst rauf auf die Ladefläche von so nem PickUp! Alles in allem haben wir also ein äußerst tranquiges (ruhiges) und lustiges Wochenende dort in Hohenau verbracht. Dennoch war ich froh, als wir wieder in BsAs angekommen waren. Zivilisation, Infrastruktur und generell eine gewisse, wenn auch langsame Organisation des öffentlichen Lebens haben schon so ihre Vorteile. Ich bin halt doch irgendwie mehr Stadt- als Landkind...
So, noch kurz ein paar Sätze zur...
- Sprache: läuft immer immer besser! Seit drei Wochen habe ich es dann auch endlich mal geschafft, mir Sprachunterricht zu organisieren, um einfach noch ein bisschen mehr Grammatik zu lernen. Aber mitlerweile habe ich das Gefühl, dass mein Spanisch langsam alltagstauglich wird. Ich bleib am Ball...
- Arbeit: nach wie vor super! La Paloma ist echt ein tolles Projekt, in dem ich immer mehr meinen Platz finde. Die Kinder wachsen mir ans Herz, der Draht zu den Mitarbeitern wird stetig enger und so langsam finde ich Wege, sie nicht nur bei der Arbeit zu unterstützen, sondern mich auch selbst ein bisschen mehr einzubringen. Zum Beispiel werde ich für Dezember einen Adventskalender vorbereiten (so etwas kennen die Argentinier nämlich gar nicht!), an dem die Kinder jeden Tag ein Überraschungssäckchen öffnen dürfen, worin sich dann Geschichten, Süßigkeiten oder andere Kleinigkeiten befinden. Aber davon berichte ich dann das nächste Mal.
- WG: ebenfalls nach wie vor gut. Gerade heute abend fiel der Satz "Wir sind die stylischste WG überhaupt!" Grund dafür war ein weiteres Wandgemälde, das Simon gezaubert hat. Das Zimmer der Jungs ziert jetzt eine überdiensional große Silhouette von Marilyn Monroe im Andy Warhol-Look...

Dale, me voy a la cama (Also, ich geh jetzt ins Bett). Fotos und Videos (!) vom Erzählten sind wie immer im neuen Album zu bewundern. Viel Spaß beim angucken!
Buenas Noches und eine schöne vorweihnachtliche Zeit wünscht euch
*merle*

PS: Wer Interesse an meinem ersten Zwischenbericht hat, den ich vor kurzem für meine Entsendeorganisation, das NMZ, geschrieben habe und in dem ich einen Rundumbericht über meine ersten Monate in Argentinien liefere, soll sich einfach bei mir (merlesievers@web.de) oder meinen Eltern melden, dann wird der ganz locker per Mail zugeschickt.

Montag, 2. November 2009

pronto, pronto...

Bald schreib ich wieder n Blog... Es gibt auch wieder wahnsinnig viel zu erzählen, aber im Moment hab ich einfach nicht die Zeit und auch nicht die Ruhe dazu, zu schreiben. Am Donnerstag geht's für ein langes Wochenende nach Paraguay, wo ich zwei andere Voluntäre in ihrem Projekt besuche. Danach werde ich mir die Zeit nehmen, meine Erlebnisse endlich mal wieder schriftlich festzuhalten, versprochen! Sonst platzt mein Kopf auch bald...
Also, mir gehts prächtig, ich hoffe euch auch!
Beso

Dienstag, 6. Oktober 2009

Freizeit, Wochenenden, Eigenarten und Aktionen

Hallo ihr Lieben,
jetzt gerade ist es bei mir 23 Uhr und ich liege faul in Joggingklamotten auf unserem durchgelegenen WG-Sofa. Aber immerhin finde ich mal wieder Zeit ein bisschen was von Argentinien zu erzählen.
Gerade in den letzten Wochen sind mir immer mehr Eigenarten der Landesbevölkerung aufgefallen. Wenn man beispielsweise durch die Straßen fährt, entdeckt man, besonders in den Barrios weiter außerhalb, des Öfteren irgendwelche Autos, die am Straßenrand parken und auf deren Dach eine leere Plastikflasche steht. Die Flasche demonstriert den Leuten, dass das jeweilige Auto zu verkaufen ist. Oft klebt dann irgendwo im Fenster ein Zettel mit einer Telefonnummer, die man bei Interesse anrufen kann. Naja, aus dieser "Sitte" haben wir uns neulich einen kleinen Spaß gemacht und mal eben ne leere Wasserflasche auf so n schicken Ford-Schlitten gestellt ;)
Des Weiteren ist die große Mehrheit der Argentinier streng gläubig. Auf meinem Weg zur Arbeit fährt der Bus immer an einer Kirche vorbei und jedes, wirklich jedes Mal zähle ich mindestens 4-5 Leute im Bus, die sich in dem Moment bekreuzigen oder ein kurzes Gebet murmeln. Außerdem befindet sich unsere Wohnung neben einer Kirche, was heißt, dass so gut wie immer Leute bei uns in der Straße stehen und durch so einen kleinen Sehspalt einen Altar der Seitenkapelle anbeten.
Auf mich wirkt diese strenge Pflege des Glaubens irgendwie ein bisschen befremdlich und übertrieben. Aber wahrscheinlich darf ich meine Maßstäbe der deustchen, evangelischen Kirche nicht an den lateinamerikansichen, überwiegend katholischen Glauben ansetzen... Mal gucken, wie ich in ein paar Monaten zu dem Thema stehe.


Jetzt etwas weniger vom gesellschaftlichen Leben der Argentinier und dafür mehr vom gesellschaftlichen Leben der Merle:
Ich hab mir in der letzten Zeit einige Aktivitäten neben der Arbeit gesucht, sodass ich mittlerweile schon fast wieder den üblichen "Freizeitstress" erreicht habe, den ich auch zu Hause schon immer hatte. Ich gehe zum Beispiel 2x die Woche in ein Gymnasio (spanischer und schönerer Ausdruck für "Fitnessstudio"), welches sich bei uns um die Ecke befindet, um dort einigermaßen regelmäßig ein bisschen Sport zu machen. So ganz ohne Bewegung lässt sich's hier bei den ganzen Alfajores und Facturas (süße, klebrige Leckerein, die einen an jeder Straßenecke verfolgen) nämlich nicht leben, vorausgesetzt man will nicht so fett wie ein argentinisches Mastrind werden. Außerdem werden in dem Gymnasio solche lustigen Fitnesskurse für Frauen angeboten, sodass dort täglich mehrere Damen zwischen 20 und 60 versuchen, ihre kleinen oder größeren Bäuchlein wegzutrainieren. Zwar kostet es mich jedes Mal viel Selbstüberwindung, mich aufzuraffen und dorthin zu gehen, aber wenn ich dann erst mal da bin, kommt man schnell mit den anderen Mädels in Gespräch, sodass man gemeinsam ein bisschen über die Anstrengung stöhnt und die Stunde dann doch relativ schnell vergeht.
Des Weiteren habe ich von einer meiner Vorgängerinnen, die neulich zu Besuch im Projekt war den Tipp für eine Tanzschule in BsAs bekommen, sodass ich inzwischen schon 3x Tango tanzen war !! (an dieser Stelle: Danke Anna !) In dieser wirklich hübschen Tanzschule, die sich in einem alten Stadthaus in dem Schickeria-Viertel Palermo befindet, unterrichten überwiegend junge Lehrer, was dazu führt, dass auch das Publikum relativ jung ist. Da ich ja nie zu den großen Tänzerinnen gehört habe, bin ich schon mit einem etwas mulmigen Gefühl in die erste Stunde gegangen. Zwar hab ich mit 14 irgendwann mal die Standardtanzkurse absolviert, aber so richtig erinnern konnte ich mich an den Tango nicht mehr. Das war allerdings auch gar nicht nötig, da die Argentinier den Tango sowieso ganz anders tanzen und auch ganz anders unterrichten, als ich es noch aus Gemindzeiten kannte. Wir fingen mit Atemübungen an, dann folgten Übungen zur Gangart, sodass man ein Gefühl für die Tangomusik bekam und anschließend wurde die Haltung (sowieso das A und O beim Tango!) trainiert. Die Schritte kamen dann irgendwann von ganz alleine... Schon lustig, wie man auf einmal ganz schnell die Scheu vor dem Gegenüber verlieren kann. Auf jeden Fall hat mir das Tanzen bis jetzt viel Spaß gemacht, sodass ich in nächster Zeit bestimmt noch öfter hingehen werde. Vielleicht traue ich mich dann ja sogar bald mal auf einen dieser öffentlichen Tanzabende, hier "Milongas" genannt.
Gestern war ich außerdem das erste mal bei einer Chorprobe eines Chores, von dem ich über mehrere Ecken mal ganz entfernt etwas gehört hatte. Irgendwie hab ich mir dann die Nummer von dem Chorleiter besorgt und den mal angerufen. Leider hat der Gute am Telefon so undeutlich gesprochen, dass ich nur Ort und Zeit der nächsten Probe verstanden habe. So hab ich dann erst vor Ort erfahren, dass es sich bei dem Chor um den Unichor der hiesigen ökonomischen Fakultät handelte. Wie auch immer, jedenfalls haben mir die Probe, der Chor und die Stücke sehr gut gefallen und ich hab gemerkt, dass mir das regelmäßige Singen in den letzten Monaten schon irgendwie gefehlt hat. Mir wurde auch gleich die Mitgliedsliste in die Hand gedrückt, auf die ich mich eintragen sollte, sodass ich von nun an wohl jeden Montagabend zur Chorprobe gehen werde.
Nebenbei war es wieder ein großes Abendteuer, das erste Mal den Weg sowohl zur Tanzschule als auch zur Uni zu finden. Da läuft man wirklich alleine, nur mit dem Stadtplan "GuiaT" bewaffnet, durch die unbekannten Straßen, zählt die Quadras, sucht die Subtestationen, verfolgt die Buslinien und freut sich jedes mal, wenn man am gewünschten Ziel ankommt, ohne sich zu verlaufen... Abenteuer Großstadt!


Nun ein kurzer Wochenendereport: Vorletztes Wochenende waren wir Samstagabend mit mehreren Leuten auf einem Reggaekonzert, wo die Band eines Freundes, von Freunden, von Freunden... auftreten sollte. Da es um 22 Uhr losgehen sollte, kamen Laura und ich, die wir zu spät waren, schon relativ abgehetzt um halb 11 dort an. Zu der Zeit saß der Sänger der Band selbst noch vor der Tür und hat ganz gechillt sein Bierchen getrunken. Angefangen zu spielen haben sie dann erst um Mitternacht... aber so was ist im Rahmen der argentinischen Zeitwahrnehmung durchaus normal, ja sogar fast pünktlich. Auf jeden Fall war das wieder eine sehr typische Situation: Die doofen Deutschen stressen sich ab, weil sie ne halbe Stunde zu spät sind und die Argentinier chillen erst mal gemütlich ne Runde, trinken Mate und lassen die Zeit verstreichen. Das Konzert entpuppte sich jedenfalls als wirklich cooles, kleines Clubkonzert mit guter Musik und guten Bierpreisen. Ein Liter Bier für 10 Peso, also ca. 1,80€. Da können die diesjährigen Oktoberfestpreise nicht mithalten, oder? Allerdings waren nicht nur die Bierpreise, sondern auch die Stimmung wirklich gut. Der Raum (etwa vergleichbar mit der Kieler Schaubude) war zwar mega überfüllt, aber irgendwie hat trotzdem jeder Platz zum Tanzen gefunden.
Das vergangene Wochenende habe ich dann, wie bereits angekündigt, in Baradero verbracht. Dort hat das Projekt von zwei anderen Freiwilligen hundertjähriges Jubiläum gefeiert. Für das Festwochenende wurden im Voraus an die 500 Gäste erwartet, schlussendlich waren wohl an die 900 da. Das Fest ähnelte insgesamt einem deutschen Gemeindefest - Gottesdienst, Kinderspiele, Tombula, Verkaufsstände und viel Essen. Das Projekt hatte für das Essen übrigens extra eine professionelle Firma engagiert, die dann für die ganzen Leute Asado und Pollo gegrillt hat (Fleisch und Hühnchen). En serio: Ich habe noch nie solche Berge von Fleisch gesehen !! Wahnsinn !! Das war wirklich beeindruckend zu sehen, mit welcher Rutine und welchem Gechick so ne Hand voll älterer Herren diesen Fleischberg bewältigt und auch tatsächlich sehr lecker zubereitet haben. Wenn die Argentinier eins können, dann viele Leute gleichzeitig mit Fleisch versorgen ;) Das Projekt in Baradero, dessen Gelände wirklich schön und riesig groß ist, liegt mitten im Grünen. Überall wachsen irgendwelche Dinge, die man Essen kann: Zitronen, Nüsse, Pomelos, Kartoffeln... Außerdem gibt es viel Natur, große Wiesen und einen Pool, der bei dem Bombenwetter, das wir am Wochenende hatten, auch ausgiebig genutzt wurde. Allerdings brachte die von mir ja heiß ersehnte Natur auch die Mücken mit sich, sodass nun meine ganzen Arme und Beine zerstochen sind (insgesamt neun Stiche!). Bis vor einem Jahr war das Projekt in Baradero ein Heim der deutsch-argetninischen Gemeinde für Jungen und Mädchen, sodass viele ehemalige Heimkinder zum Jubiläumsfest angereist waren, mit denen ich mich auch ein paar mal unterhalten habe. Schon irre, so alte Menschen zu sehen (einige waren über 80) die fließend und perfekt Deutsch und Spanisch sprechen können... Auch die einzelnen Lebensgeschichten der Damen und Herren, weshalb und wann sie ins Heim gekommen sind, wie sie teilweise nach dem Krieg von Deutschland nach Argentinien ausgewandert sind usw. waren zwischendurch wirklich interessant... Da habe ich auch wieder mal gemerkt, wie sehr dieses Land von den Einflüssen seiner europäischen Einwanderer geprägt ist.

So, zum Schluss noch ein paar Sätze zu meiner Arbeit:
In den letzten Wochen bin ich immer besser ins Projekt reingekommen, was hauptsächlich meinen Fortschritten in Sachen Sprache zu verdanken ist. Klar, je besser ich Spanisch kann, desto besser kann ich schimpfen, Befehle erteilen oder Diskussionen führen, wer denn jetzt mit Abwaschen dran ist ;) Trotz der Verbesserung, will ich mich diese Woche doch mal auf die Suche nach einer Sprachschule o.ä. begeben, um die Grammatik noch ein bisschen besser zu lernen. Mittlerweile habe ich die Kinder immer besser kennengelernt, sodass sie mir schon richtig ans Herz gewachsen sind. Da ich mich inzwischen auch viel besser und mehr mit ihnen unterhalten kann, akzeptieren sie mich langsam und finden Vertrauen zu mir, was ein sehr schönes Gefühl ist.


Vorletzte Woche haben wir mit unseren "Kleinen" (den 4 bis 8-jährigen) einen Ausflug in den Zoo von Palermo gemacht, da sie in den vergangenen Wochen inhaltlich zum Thema "Animales- also Tiere" gearbeitet haben. Für viele Kinder war es as erste Mal, dass sie aus ihrem Barrio raus und in die Großstadt nach Capital gefahren sind. Der Tag war insgesamt wirklich schön - Wetter war super, Kinder gut drauf und der Zoo war auch wirklich schön, wenn auch die Tierhaltung, meiner Meinung nach, teilweise nicht ganz artgerecht war. Aber da gelten hier wohl ebenfalls andere Richtlinien als in Deutschland.

Vergangenen Freitag haben wir in La Paloma den "Marathon de Lectura" gefeiert, eine Art Projekttag zum Thema "Bücher/Geschichten/Lesen", der von den Mitarbeitern lange im Voraus geplant und organisiert wurde. Wir haben die Kinder in drei Gruppen eingeteilt und dann in entsprechend dekorierten Salons Geschichten zu den Themen "Sagen&Legenden", "Grusel- und Geistergeschichten" und "Kindergeschichten" vorgelesen. Außerdem haben sich alle Maestros verkleidet, sodass ganz La Paloma an dem Tag wie verwandelt wirkte. Auf jeden Fall war der "Marathon de Lectura" ein voller Erfolg, die Kinder fanden's super!
In dem neuen Fotoalbum hab ich auch endlich mal Fotos von La Paloma und unseren Aktionen online gestellt. Ich dachte mir, ich schreibe mal die Namen bzw. Spitznamen der Kinder und Betreuer dazu, damit ihr mal hört, wie die Leute hier so heißen ;) Lenas und Lisas gibt's hier nämlich nicht so viele...

So, eigentlich wollte ich noch von dem Renovierungswahn meiner Mitbewohner (die beiden, bzw. eher Simon, haben nämlich über's Wochenende ihren monströsen Schrank zerkloppt und nun ihr Zimmer neu eingerichtet) und dem Tohuwabohu der argentinischen Behörden bzgl. unseres Visums erzählen, aber dazu habe ich jetzt keine Lust und keine Energie mehr ;)Mittlerweile ist es auch schon 1 Uhr und ich schließlich muss ich ja morgen wieder früh *hust* aufstehen und arbeiten.
Abrazos, liebste Grüße
eure Merle

PS: Ach ja, eins noch, wem Schwarz-Gelb auch nicht gefällt: Wandert doch einfach aus, kommt zu mir nach Argentinien =)

Donnerstag, 1. Oktober 2009

... und raus !

Wollte nur kurz erzählen, dass ich über's Wochenende dem Großstadtjungel entfliehe und nach Baradero, einem Ort im Großraum BsAs fahre. Dort feiert ein anderes Projekt der IERP 100-jähriges Jubiläum, wozu alle Voluntäre eingeladen worden sind. Natürlich find ich's auch interessant, andere Projekte kennenzulernen, aber vor allem freue ich mich darauf, mal aus der Megacity (die ich eigentlich total toll finde!) rauszukommen und vielleicht mal wieder grüne Bäume und vor allen Dingen HORIZONT zu sehen... Das fehlt mir schon ein bisschen. Da bin ich halt doch irgendwie ein Kind der Ostsee. Wenn ich wieder da bin, berichte ich dann von den letzten Wochen.
Bueno, hasta luego Chicos!

Sonntag, 20. September 2009

Hasta la victoria siempre !

(~Bis zum ewigen Sieg !)

Hola Queridos y Queridas =)

Dieser Blog trägt die Parole des wohl allseits bekannten Geruillakämpfers und Revolutionär Ernesto "Che" Guevara als Titel. Anlass dafür gibt ein Kunstwerk, welches mein Mitbewohner letzte Woche erschaffen hat. Mein lieber Mitbewohner Jonas kam nämlich auf die glorreiche Idee, unseren Patio (Innenhof), den wir ja vorrangig zum chillen, Bierchen trinken, nett beieinander sitzen, in der Hängematte gammeln nutzen, mit dem Antlitz des berühmten Che zu verschönern. Man muss dazu wissen, dass "Che" hier eine Art lockerer Ausdruck unter Freunden ist ("Alter", "mein Lieber", "Kumpel") und somit von jedermann mehrmals täglich genutzt wird. Gesagt, getan: Jonas schnappte sich Pinsel und Farbe und begann mit einer Engelsgeduld sein Werk. Freihand und nur vom Cumputer abgemalt! Et voilà: Es ist ihm gelungen! Es sieht wirklich cool aus, uns gefällt's! Mal gucken, ob wir im Laufe unseres Jahres die anderen Wände des Patios auch noch verschönern...
Soweiso zum Thema Wohnung und Leben allgemein: Insgesamt gefällt mir das WG-Leben ziemlich gut. Ich weiß nicht, ob ich einfach nur sau Glück mit meinen beiden Mitbewohnern gehabt habe oder ob es in allen WGs so schön friedlich zugeht wie bei uns. Auf jeden Fall kommen wir drei bis jetzt wirklich gut miteinander aus, oft wird abends gemeinsam gegessen oder n Film geguckt. Außerdem ist es auch ganz schön, dass, wenn man von der Arbeit nach Hause kommt, jemand da ist, mit dem man in der Küche mal fix ne Runde schnacken und erzählen kann, was am Tag so passiert ist. Ich bin wirklich froh drüber, dass ich nciht alleine wohne, sondern die Jungs hier habe.
Auch unter dem Aspekt betrachtet, dass die beiden sich meistens gemeinsam und voller Zerstörungswut auf die Kakerlaken stürzen, die sich hin und wieder mal in unsere Wohnung schleichen. Da es vergangene Woche wirklich sehr viel geregnet hat und es einfach kalt, nass und ungemütlich war, haben sich mehr Kakaerlaken als sonst zu uns ins Warme geflüchtet. Naja, leider fanden dann hier alle den Tod, indem sie von Simon und Jonas ausgeräuchert wurden. That's life!
Ein weitaus dramatischeres Ereignis musste mein Mitbewohner diese Woche erleben. Jonas arbeitet zusammen mit Hannah, einer anderen Voluntärin, in der Casa San Pablo, einem Sozialprojekt in San Miguel, welches sich vor allen Dingen um die Familien und Menschen im Barrio kümmert. Also befindet sich das Projekt der beiden auch in einer relativ armen und trostlosen Gegend. Nun sind die beiden am vergangenen Mittwoch auf dem Weg von der Bushaltestelle zur Casa San Pablo überfallen worden. Zwei junge Männer kamen den beiden entgegen, bedrohten sie und entrissen ihnen Rucksack und Handtasche, wobei Hannah sogar zu Boden geschleudert wurde. Jonas hatte zum Glück all seine Wertsachen in der Hosentasche, Hannah wurde dadurch jetzt eben Handy und Geld geklaut. Der Schock saß uns allen, aber natürlich vor allen Dingen den beiden, den ganzen Tag lang noch in den Gleidern, auch wenn Jonas später am Abend schon wieder scherzhaft das Fazit ziehen konnte: "Immerhin sind wir die ersten Voluntäre, die dieses Jahr überfallen worden sind."
Trotzdem haben wir alle noch relativ viel über die Sache gesprochen und nachgedacht. Der Überfall hat uns halt wirklich gezeigt, wie gefährlich diese Barrios sein können, gerade wenn man als vermeintlich reicher Europäer alleine unterwegs ist. Auf der anderen Seite fällt es einem immer schwerer wütend oder sauer auf diese Menschen zu sein, die eben andere Leute überfallen oder beklauen. Je mehr man die Menschen und ihre Lebensumstände hier kennenlernt, umso mehr bekommt man mit, in welcher Armut sie teilweise leben. Gerade die Leute aus dem Barrio leben oft am Rande der Existenz... und so klischeehaft es auch klingen mag: Die Armut treibt die Menschen zu kriminellen Dingen wie Überfällen und Diebstahl - weil sie es einfach nötig haben. Traurig, aber wahr.
Insofern hat die Erfahrung, die Jonas und Hannah diese Woche mit dem Überfall gemacht haben, allseits irgendwie komische, zwiespältige Gefühle ausgelöst...

Seit fünf Wochen lebe ich nun "allein" bzw. selbstständig und kann mit ein bisschen Stolz sagen, dass ich mittlerweile einen mehr oder weniger geregelten Alltag erlangt habe, was wirklich schön ist. Es tut gut, ein bisschen Struktur im Tag zu haben, zu wissen was kommt und trotzdem einigermaßen spontan seine Woche planen zu können.
Ich fühle mich immer mehr zu Hause, auch wenn ich letzte Woche das erste Mal Heimweh hatte, was vor allen Dingen mit dem schlechten Wetter und meinen Kopfschmerzen zusammenhing. Jedoch habe ich die ultimative Lösung gegen Heimweh entdeckt: Einfach die gute, alte Hausmannskost aus Mamas Küche nachkochen! So hab ich letzte Woche schön ne Runde Blumenkohl mit weißer Soße und Frikadellen gekocht. Es ist mir sogar einigermaßen gelungen. Jedenfalls waren meine Mitbewohner schwer begeistert und der eigentliche Vegetarier Jonas hat sogar drei Frikadellen gegessen. Welch ein Kompliment ;)
Des Weiteren kann ich berichten, dass ich mich immer mehr an meine Wirkung als große, blonde Deutsche gewöhnt habe. Mittlerweile stört mich das ständige hinterher pfeifen, hupen und angeguckt werden gar nicht mehr sooo sehr. Klar, ist es immer noch nervig und auch irgendwie eklig, wenn so n alter, schleimiger Kerl dir im Vorbeigehen so was wie "süße Schnecke" zuraunt, aber im Großen und Ganzen habe ich diese Eigenart der argentinischen Männer akzeptiert und finde sogar fast, dass es das tägliche Geschehen auf den Straßen irgendwie lebendiger macht.
Ach ja, es gibt noch eine weitere Veränderung: Ich hab mich piercen lassen! Huiiiii... das klingt dramatischer als es ist. Ich habe mir lediglich ein zweites Ohrloch stechen lassen. Ich hab da schon öfter mal drüber nachgedacht und irgendwie fand ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt dafür ist. Es tat zwar ganz schön weh, aber mittlerweile ist es gut verheilt und ich kann schon problemlos dran rumspielen. Allderdings hab ich von zu Hause schon n bisschen Gegenwind bekommen, weil ich es erst erzählt habe, als es quasi schon zu spät war. Aber das ist ja schließlich auch ein Vorteil eines Auslandsjahres - ich bin groß und ganz alleine, ohne meine lieben Eltern hier, sodass ich leider nicht alles mit ihnen absprechen kann ;) Naja, mir gefällt's auf jeden Fall, ich find's cool! Aber keine Angst: Das war mein erster und letzter Ausflug in ein Piercing- und Tatoostudio. Versprochen!

Aus La Paloma gibt es gar nicht soooo viel Neues zu berichten. Letzten Donnerstag habe ich mich mit ein paar Mädels auf die Verkleidungskiste gestürzt - das war ein Spaß! Auf einmal verwandelten sich sechs kleine Mädchen, die sonst mit eher dreckigen, zerissenen Klamotten rumlaufen in Prinzessinen, mit allem was dazu gehört: Krönchen, quietscherotem Lippenstift und viel zu großen hohen Schuhen.
Morgen feiern wir "La Fiesta de Primavera" (Fest des Frühlingsanfangs) in La Paloma mit vielen Spielchen und anderen Aktionen. Außerdem machen wir diese Woche mit den Kleinen, die schon seit einiger Zeit zum Thema "Tiere" arbeiten, einen Ausflug in den Zoo von Palermo, worauf ich mich schon sehr freue. Für viele der Kinder wird es das erste Mal sein, dass sie nach Capital fahren... aufregend!


Letzten Samstag habe ich zusammen mit einigen anderen Voluntären an einer Stadtführung durch BsAs Capital teilgenommen. Angeboten wurde diese Führung von Herrn Muhlert, einem wirklich äußerst fitten, älteren Herrn, der seit seiner Rente hier in Argentinien lebt und schon seit Jahren mit den Projekten der IERP und den Voluntären arbeitet.
Die Ausflug glich weniger einer klassischen Stadtführung, sondern eher einem entspannten Bummel durch die Innenstadt, gespickt mit einigen Informationen hier und dort. Die schönste Erkenntnis war für mich, dass nciht ALLES riiiiiiiiiiiiesig ist in BsAs, sonder dass man den Stadtkern bei Bedarf auch ganz gut zu Fuß erlaufen kann. Bei einigen Stops zum Kaffee trinken und Pizza essen hat uns Herr Muhlert dann noch einiges über die Geschichte und Vergangenheit unserer jeweiligen Projekte erzählt, was auch wirklich mal interessant zu hören war. Nach der Stadtführung hab ich den Tag dann noch gemütlich mit Laura und Matheo beim shoppen, kochen und Rotwein trinken ausklingen lassen.

Für alle, die sich (vielleicht auch angeregt durch meine Berichte?) für Argentinien interessieren, habe ich zwei Buchempfehlungen:


"Mein Name ist Luz" und "Im Himmel Tango" - beides von der argetninischen Autorin Elsa Osorio.
Diese beiden Romane habe ich jetzt gerade hier gelesen (schließlich hab ich ja täglich während meiner Busfahrt zwei Stunden Zeit dafür ;) und kann sie durchaus weiter empfehlen. Gerade weil man mehr so nebenbei eine ganze Menge über die argentinische Vergangenheit erfährt, zB. in "Mein Name ist Luz" über die Militärdiktatur in den 70er Jahren, die Kinder, die zu der Zeit aus den Gefangenenlagern gestolen wurden usw. "Im Himmel Tango" behandelt mehr das Buenos Aires des späten 19./frühen 20. Jhds., was auch sehr interessant ist. Zudem wird viel über die Herkunft und Leidenschaft des Tangos erzählt. Durch diese beiden Romane habe ich erstens verstanden, dass Argentinien von den Einflüssen der vielen Einwanderer geprägt ist, zweitens die Bevölkerung schon immer, wirklich immer, in gesellschaftliche Klassen (arm & reich) unterteilt war (was bis heute so ist!) und drittens ein dunkles Kapitel in der eigenen Landesgschichte besitzt, welches gar nicht so lange zurück liegt und von den Menschen noch lange nicht verarbeitet worden ist...

Zum Schluss möchte ich mich noch mal für all die lieben Rückmeldungen bedanken, die ich für meinen Blog bekomme. Es macht umso mehr Spaß meine Erlebnisse aufzuschreiben, wenn ich weiß, dass viele Leute sich für diese Seite interessieren, auch wenn ich nicht mehr ganz so regelmäßig schreibe wie am Anfang. Wer möchte darf mir natürlich gerne schreiben, entweder über die Kommentarfunktion unter den Beiträgen oder einfach per Email an merlesievers@web.de . Ich freue mich über Nachrichten, Feedback und sonstige Post!
Des Weiteren habe ich wieder ein neues Fotoalbum angelegt, wo Bilder aus den letzten zwei Wochen zu bewundern sind.

So, jetzt bin ich müde und verabschiede mich ins Bett.
Liebste Grüße aus dem langsam sonniger werdenen Buenos Aires,
un abrazo
Merle

Montag, 7. September 2009

Projektalltag, mein Alltag, argentinischer Alltag


Sooooo, es ist mal wieder an der Zeit, etwas von mir hören zu lassen.
Es ist wieder viel passiert, aber ich versuche mich trotzdem kürzer zu fassen, als die letzten Male...
Letzten Samstag war ich mit den Kids von La Paloma auf einem "Futbol Callejero", einer Art Fußballtunier, das monatlich stattfindet und an dem sämtliche Kinder- und Jugendprojekte aus BsAs teilnehmen dürfen. Das Ganze ist eine Art Freundschaftsspiel, um die Beziehungen zwischen den Projekten du fördern. Außerdem spielen die Kids nach besonders pädagogisch wertvollen Regeln, die dazu dienen sollen, den doch recht ruppigen Fußballstil der Argentinier einzudämmen. So muss beispielsweise in jedem Team mindestens ein Mädchen mitspielen und Punkte lassen sich sowohl durch Tore als auch durch Fairplay erzielen. Auf jeden Fall war es ein schöner, heißer Tag, den wir da gemeinsam in der Pampa von BsAs verbracht haben. Apropos Fußball: Leider hat Argentinien ja dieses Wochenende gegen Brasilien verloren, woran natürlich NUUUUUUUUR der Schiedsrichter schuld war, "dieses unfaire Schwein!" (Zitat eines Mitarbeiters).
Was in letzter Zeit immer besser läuft, ist die Orientierung in dieser großen, großen Stadt. Natürlich kenne ich mich noch lange nicht aus, aber so langsam verfliegt die Angst bzw. der Respekt vor der Millionenstadt und ich traue mich mittlerweile auch, mich einfach in irgendeinen Bus / Zug zu setzen, dessen Strecke ich nciht genau kenne und einfach mal zu hoffen, dass ich richitg ankomme. Bis jetzt hat's auch immer irgendwie geklappt... Der Verkehr hier in Argentinien ist übrigens nicht ansatzweise mit dem in Deutschland zu vergleichen. Während die Autos sich in Deuschland ja einigermaßen geregelt und strukturiert auf den Straßen bewegen, gleicht das Verkehrsbild hier eher dem gepflegten Chaos. Es gilt nicht "Rechts vor Links", sondern "Größer vor Kleiner" und "Schneller vor Langsamer" (kein Scherz!), was dazu führt, dass besonders die Busse sich des Öfteren einfach mal haarscharf an einer Hausecke oder anderen Autos vorbeiquetschen. Kein Wunder, dass fast alle Autos, die ich bisher gesehen habe, mindestens eine große, fette Beule haben und man häufiger mal Zeuge eines Verkehrsunfalls wird. Zum Glück bin ich bisher noch in keinen reingeraten... naja, ist bestimmt nur eine Frage der Zeit.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlichen bei allen für die lieben Glückwünsche und Geschenke zu meinem Geburtstag bedanken!


Ich hatte einen wirklich schönen Tag und hab mich gefreut, dass so viele an mich gedacht haben, obwohl ich ja nun mittlerweile schon sechs Wochen weg bin (6 Wochen ??? hui, wie die Zeit verfliegt!). Es war toll die Post von meiner Familie auszupacken und von einer Horde gröhlender Freunde angerufen zu werden (wenn auch vier Stunden zu früh ;). Am Freitagabend waren wir in Quilmes unterwegs, wo wir den Abschied einer Freundin gefeiert haben, die jetzt wieder in Bielefeld studiert, und dabei auch gleichzeitig in meinen Geburtstag reingefeiert haben. Am Samstagabend habe ich dann die ganzen Freiwilligen aus BsAs und Umgebung zu uns in die WG eingeladen. Leider haben wir es versäumt, die Nachbarn wegen des Lärms vorzuwahnen und haben uns deshalb etwas unbeliebt gemacht, fürchte ich. Aber nichtsdestotrotz war es ne nette Party und es war schön, alle um sich zu haben.

Jetzt noch kurz ein paar Sätze zu meiner Arbeit: Insgesamt etwickelt sich alles sehr gut. Von Tag zu Tag verbessert sich mein Spanisch, ich verstehe mehr und die Kinder nehmen mich ernster. Natürlich genieße ich noch lange nicht den selben Respekt wie die Mitarbeiter (ich weiß auch nciht, ob ich es überhaupt jemals auf dieses Level schaffen werde ?!), aber heute habe ich es sogar geschafft, alleine das Duschen zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, dass es keine Großüberschwemmung im Badezimmer gab. Ein kleiner Erfolg!
Allerdings gibt es neben den überwiegend guten auch manche schlechte, bzw. demotivierende Tage. Vergangenen Mittwoch hatten wir beispielweise wieder die wöchentliche Teamversammlung, hier "reunión genannt, bei der das Programm für die nächsten Tage, Probleme und sonstige organisatorische Dinge besprochen werden. Bei diesen Versammlungen wird regelmäßig mein ganzer Stolz über mein vermeintlich gutes Spanisch zunichte gemacht: Ich verstehe so gut wie kein Wort! Auf jeden Fall fühle ich mich im ersten Moment immer so. Klar, die Mitarbeiter haben wenig Zeit, reden deshalb natürlich in einem Affentempo und auf einem ganz anderen sprachlichen Niveau als im täglichen LaPalomageschehen. Nach diesen Sitzungen schwirrt mein Kopf immer so doll, dass ich aus Trotz alles Spanische für diesen Tag aus meinem Leben verbanne. Ich freue mich schon wirklich auf den Moment, wenn ich das erste Mal in dieser reunión sitzen und alles verstehen werde. Hoffentlich kommt dieser Tag irgendwann!
Ansonsten lerne ich die Kinder zur Zeit immer besser kennen, was auf der einen Seite sehr schön, auf der anderen Seite auch teilweise wirklich erschreckend ist. Eine Erfahrung die ich jetzt gerade in der letzten Woche immer öfter gemacht habe, ist das "Mitleid" (blödes Wort, aber ich finde kein besseres) in ganz konkreten Fällen. Zwar wurde mir schon in Deutschland auf den Seminaren und in der Vorbereitung auf das Jahr erzählt, dass viele der Kinder aus armen, sozial schwachen Familien stammen und zum Teil eben auch schon gewaltgeprägte Biografien haben, aber jetzt, wo ich die Kinder täglich sehe und sie als Personen kennenlerne, bekommen die Dinge für mich eine ganz andere Dimension. Letzte Woche Dienstag konnten zum Beispiel die vier Geschwister der Familie "sowieso" nciht kommen, weil ihnen der besoffene Vater das Busgeld weggenommen hat. Bei anderen Kindern habe ich erfahren, dass sie regelmäßig von ihrem Onkel geschlagen werden. Solche Dinge sind schlimm zu hören, aber eben noch mal krasser, wenn man die Kinder kennt, sie täglich sieht und auch erlebt, wie unbeschwert und fröhlich sie sich im Projekt verhalten.
Des Weiteren hat sich meine Einstellung zum Thema Bildung hier etwas gewandelt. Viele der Kinder gehen gar nicht oder unregelmäßig zur Schule. Selbst wenn, dann ist die Schulbildung, die die Kinder hier in den öffentlichen Schulen erhalten oft nicht zu vergleichen mit der deutschen.
Am Anfang war ich schockiert darüber, dass ein 16-jähriger Junge kein einziges Wort auf Englisch kannte oder das 12-jäghrige Kinder nicht mal wissen wo ihr eigenes Land auf der Weltkarte liegt. Mittlerweile bekomme ich immer mehr mit, wie und wo diese Kinder leben. Sie leben in Villas, in Armenvierteln und in besch******* Familien. Da ist es einfach nicht wichtig, dass man Englisch sprechen oder schriftlich dividieren kann !! Sondern da ist es wichtig zu wissen, was esse ich heute, wie sorge ich dafür, dass der kaputte Wasserhahn repariert wird, sodass wir wieder fließendes Wasser haben und wie schütze ich meine kleinen Geschwister vor den Schlägen des Stiefvaters.
Dieses Beispiel soll nicht heißen, dass ich Bildung und Ausbildung der Kinder hier für unnötig oder überflüssig halte (im Gegenteil !), sondern dass ich merke, dass es für viele Menschen einfach nötig ist, ihre Prioritäten anders zu setzen als ich es von zu Hause gewohnt bin, damit überhaupt die Lebensgrundversorgung gesichert ist.
Naja, und bei genau diesen Problemen veruscht La Paloma eben mitanzusetzen. So wie es mir scheint, auch mit Erfolg. Die Kinder kommen gerne und oft auch über Jahre hinweg in das Projekt, sodass sie von La Paloma quasi miterzogen und beim Erwachsenwerden begleitet werden. So hat beispielsweise eine von den Jugendlichen gerade mit 18 ihr erstes Kind bekommen. Ein Erfolg, wenn man dabei beachtet, dass sämtliche andere Frauen aus ihrer Familie vorher immer mit 14 ihr erstes Kind bekommen haben...

So, jetzt ist es doch wieder ganz schön viel geworden. Deswegen ist jetzt auch Schluss!
In meinem neuen Fotoalbum findet ihr Bilder von meinem Geburtstag und den letzten Wochen.
Macht's gut und bis bald.
Saludos, eure von Argentinien beeindruckte Merle