Montag, 7. September 2009

Projektalltag, mein Alltag, argentinischer Alltag


Sooooo, es ist mal wieder an der Zeit, etwas von mir hören zu lassen.
Es ist wieder viel passiert, aber ich versuche mich trotzdem kürzer zu fassen, als die letzten Male...
Letzten Samstag war ich mit den Kids von La Paloma auf einem "Futbol Callejero", einer Art Fußballtunier, das monatlich stattfindet und an dem sämtliche Kinder- und Jugendprojekte aus BsAs teilnehmen dürfen. Das Ganze ist eine Art Freundschaftsspiel, um die Beziehungen zwischen den Projekten du fördern. Außerdem spielen die Kids nach besonders pädagogisch wertvollen Regeln, die dazu dienen sollen, den doch recht ruppigen Fußballstil der Argentinier einzudämmen. So muss beispielsweise in jedem Team mindestens ein Mädchen mitspielen und Punkte lassen sich sowohl durch Tore als auch durch Fairplay erzielen. Auf jeden Fall war es ein schöner, heißer Tag, den wir da gemeinsam in der Pampa von BsAs verbracht haben. Apropos Fußball: Leider hat Argentinien ja dieses Wochenende gegen Brasilien verloren, woran natürlich NUUUUUUUUR der Schiedsrichter schuld war, "dieses unfaire Schwein!" (Zitat eines Mitarbeiters).
Was in letzter Zeit immer besser läuft, ist die Orientierung in dieser großen, großen Stadt. Natürlich kenne ich mich noch lange nicht aus, aber so langsam verfliegt die Angst bzw. der Respekt vor der Millionenstadt und ich traue mich mittlerweile auch, mich einfach in irgendeinen Bus / Zug zu setzen, dessen Strecke ich nciht genau kenne und einfach mal zu hoffen, dass ich richitg ankomme. Bis jetzt hat's auch immer irgendwie geklappt... Der Verkehr hier in Argentinien ist übrigens nicht ansatzweise mit dem in Deutschland zu vergleichen. Während die Autos sich in Deuschland ja einigermaßen geregelt und strukturiert auf den Straßen bewegen, gleicht das Verkehrsbild hier eher dem gepflegten Chaos. Es gilt nicht "Rechts vor Links", sondern "Größer vor Kleiner" und "Schneller vor Langsamer" (kein Scherz!), was dazu führt, dass besonders die Busse sich des Öfteren einfach mal haarscharf an einer Hausecke oder anderen Autos vorbeiquetschen. Kein Wunder, dass fast alle Autos, die ich bisher gesehen habe, mindestens eine große, fette Beule haben und man häufiger mal Zeuge eines Verkehrsunfalls wird. Zum Glück bin ich bisher noch in keinen reingeraten... naja, ist bestimmt nur eine Frage der Zeit.

An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlichen bei allen für die lieben Glückwünsche und Geschenke zu meinem Geburtstag bedanken!


Ich hatte einen wirklich schönen Tag und hab mich gefreut, dass so viele an mich gedacht haben, obwohl ich ja nun mittlerweile schon sechs Wochen weg bin (6 Wochen ??? hui, wie die Zeit verfliegt!). Es war toll die Post von meiner Familie auszupacken und von einer Horde gröhlender Freunde angerufen zu werden (wenn auch vier Stunden zu früh ;). Am Freitagabend waren wir in Quilmes unterwegs, wo wir den Abschied einer Freundin gefeiert haben, die jetzt wieder in Bielefeld studiert, und dabei auch gleichzeitig in meinen Geburtstag reingefeiert haben. Am Samstagabend habe ich dann die ganzen Freiwilligen aus BsAs und Umgebung zu uns in die WG eingeladen. Leider haben wir es versäumt, die Nachbarn wegen des Lärms vorzuwahnen und haben uns deshalb etwas unbeliebt gemacht, fürchte ich. Aber nichtsdestotrotz war es ne nette Party und es war schön, alle um sich zu haben.

Jetzt noch kurz ein paar Sätze zu meiner Arbeit: Insgesamt etwickelt sich alles sehr gut. Von Tag zu Tag verbessert sich mein Spanisch, ich verstehe mehr und die Kinder nehmen mich ernster. Natürlich genieße ich noch lange nicht den selben Respekt wie die Mitarbeiter (ich weiß auch nciht, ob ich es überhaupt jemals auf dieses Level schaffen werde ?!), aber heute habe ich es sogar geschafft, alleine das Duschen zu beaufsichtigen und dafür zu sorgen, dass es keine Großüberschwemmung im Badezimmer gab. Ein kleiner Erfolg!
Allerdings gibt es neben den überwiegend guten auch manche schlechte, bzw. demotivierende Tage. Vergangenen Mittwoch hatten wir beispielweise wieder die wöchentliche Teamversammlung, hier "reunión genannt, bei der das Programm für die nächsten Tage, Probleme und sonstige organisatorische Dinge besprochen werden. Bei diesen Versammlungen wird regelmäßig mein ganzer Stolz über mein vermeintlich gutes Spanisch zunichte gemacht: Ich verstehe so gut wie kein Wort! Auf jeden Fall fühle ich mich im ersten Moment immer so. Klar, die Mitarbeiter haben wenig Zeit, reden deshalb natürlich in einem Affentempo und auf einem ganz anderen sprachlichen Niveau als im täglichen LaPalomageschehen. Nach diesen Sitzungen schwirrt mein Kopf immer so doll, dass ich aus Trotz alles Spanische für diesen Tag aus meinem Leben verbanne. Ich freue mich schon wirklich auf den Moment, wenn ich das erste Mal in dieser reunión sitzen und alles verstehen werde. Hoffentlich kommt dieser Tag irgendwann!
Ansonsten lerne ich die Kinder zur Zeit immer besser kennen, was auf der einen Seite sehr schön, auf der anderen Seite auch teilweise wirklich erschreckend ist. Eine Erfahrung die ich jetzt gerade in der letzten Woche immer öfter gemacht habe, ist das "Mitleid" (blödes Wort, aber ich finde kein besseres) in ganz konkreten Fällen. Zwar wurde mir schon in Deutschland auf den Seminaren und in der Vorbereitung auf das Jahr erzählt, dass viele der Kinder aus armen, sozial schwachen Familien stammen und zum Teil eben auch schon gewaltgeprägte Biografien haben, aber jetzt, wo ich die Kinder täglich sehe und sie als Personen kennenlerne, bekommen die Dinge für mich eine ganz andere Dimension. Letzte Woche Dienstag konnten zum Beispiel die vier Geschwister der Familie "sowieso" nciht kommen, weil ihnen der besoffene Vater das Busgeld weggenommen hat. Bei anderen Kindern habe ich erfahren, dass sie regelmäßig von ihrem Onkel geschlagen werden. Solche Dinge sind schlimm zu hören, aber eben noch mal krasser, wenn man die Kinder kennt, sie täglich sieht und auch erlebt, wie unbeschwert und fröhlich sie sich im Projekt verhalten.
Des Weiteren hat sich meine Einstellung zum Thema Bildung hier etwas gewandelt. Viele der Kinder gehen gar nicht oder unregelmäßig zur Schule. Selbst wenn, dann ist die Schulbildung, die die Kinder hier in den öffentlichen Schulen erhalten oft nicht zu vergleichen mit der deutschen.
Am Anfang war ich schockiert darüber, dass ein 16-jähriger Junge kein einziges Wort auf Englisch kannte oder das 12-jäghrige Kinder nicht mal wissen wo ihr eigenes Land auf der Weltkarte liegt. Mittlerweile bekomme ich immer mehr mit, wie und wo diese Kinder leben. Sie leben in Villas, in Armenvierteln und in besch******* Familien. Da ist es einfach nicht wichtig, dass man Englisch sprechen oder schriftlich dividieren kann !! Sondern da ist es wichtig zu wissen, was esse ich heute, wie sorge ich dafür, dass der kaputte Wasserhahn repariert wird, sodass wir wieder fließendes Wasser haben und wie schütze ich meine kleinen Geschwister vor den Schlägen des Stiefvaters.
Dieses Beispiel soll nicht heißen, dass ich Bildung und Ausbildung der Kinder hier für unnötig oder überflüssig halte (im Gegenteil !), sondern dass ich merke, dass es für viele Menschen einfach nötig ist, ihre Prioritäten anders zu setzen als ich es von zu Hause gewohnt bin, damit überhaupt die Lebensgrundversorgung gesichert ist.
Naja, und bei genau diesen Problemen veruscht La Paloma eben mitanzusetzen. So wie es mir scheint, auch mit Erfolg. Die Kinder kommen gerne und oft auch über Jahre hinweg in das Projekt, sodass sie von La Paloma quasi miterzogen und beim Erwachsenwerden begleitet werden. So hat beispielsweise eine von den Jugendlichen gerade mit 18 ihr erstes Kind bekommen. Ein Erfolg, wenn man dabei beachtet, dass sämtliche andere Frauen aus ihrer Familie vorher immer mit 14 ihr erstes Kind bekommen haben...

So, jetzt ist es doch wieder ganz schön viel geworden. Deswegen ist jetzt auch Schluss!
In meinem neuen Fotoalbum findet ihr Bilder von meinem Geburtstag und den letzten Wochen.
Macht's gut und bis bald.
Saludos, eure von Argentinien beeindruckte Merle

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