Dienstag, 2. Februar 2010

Kurze Einblicke

Nachdem ich in meinen letzten beiden Berichten ja sehr ausführlich über mein funkensprühendes Privatleben geschrieben habe, will ich nun mal wieder von ein paar Eindrücken von meiner Arbeit in dem Straßenkinderprojekt "La Paloma" berichten. Fast alle Kinder von La Paloma kommen aus den umliegenden Villas (Armenvierteln) von Buenos Aires, leben in verschiedensten Stufen von Armut und erleben oft zu Hause Gewalt. Die folgenden Geschichten sind Schicksale, die sich in den letzten Monaten innerhalb der Familien von La Paloma ereignet haben und die mir zum Teil sehr nahe gegangen sind. (Anmerkung: Ich habe alle Namen der Betroffenen geändert)

Layla ist 12 Jahre alt und ein, für dieses Alter schon sehr erwachsenes Mädchen, dass seit ihrer frühen Kindheit zu La Paloma kommt. Sie hat drei jüngere Brüder, die zwischen 5 und 10 Jahren alt sind und lebt mit ihnen bei ihrer Mutter. Der Vater ist vor einigen Jahren gestorben, als er im Barrio vor den Augen seiner Kinder erschossen wurde. Layla ist eher verschlossen, oft launisch und gibt wenig von sich preis. Vor einiger Zeit sollte sie nachmittags auf ihren kleinsten Bruder aufpassen. Als es mit dem kleinen Probleme gab, schlug sie ihn. Als die Mutter später davon erfuhr, gab sie ihrer Tochter zur Strafe mehrere Ohrfeigen, sodass Layla die folgenden Tage nur auf einer Seite kauen konnte... Da frage ich mich oft, wie das Mädchen denn lernen soll, dass man nicht schlagen darf, wenn sie mit den selben Mitteln dafür bestraft wird?

Eine andere Geschichte: Vier Kinder von La Paloma fuhren freitagabends so gegen 20 Uhr mit dem Bus nach Hause. An einer Haltestelle stiegen plötzlcih zwei bewaffnete Männer ein, die den Bus überfallen wollten. Sie schnappten sich die 6-jährige Yazmin als Geisel, hielten ihr eine Waffe anden Kopf und forderten alle Fahrgäste auf, ihre Wertsachen abzugeben. Nachdem alle Leute ihre Sachen ausgehändigt hatten, verließen sie samt Yazmin den Bus und ließen sie erst auf der Straße und nachdem der Bus wieder losgefahren war laufen. Zum Glück ist der Kleinen nichts passiert, doch man hat ihr noch die ganze folgende Woche angemerkt, wie tief ihr der Schock in den Knochen saß...

Eine Familie schickt seit Jahren vier ihrer insgesamt sechs Kinder zu La Paloma. Die Geschwister sind 6,8,12 und 14 Jahre alt, die zwei anderen sind noch älter und leben nicht mehr zu Hause. Die Familie ist sehr arm und lebt in einem relativ hässlichen Barrio, das auffällig oft von Überfällen betroffen ist. Anfang Dezember erkrankte der Vater der Familie an Krebs, bzw. seine vorher bereits schlimme gesundheitliche Lage verschlechterte sich rapide, sodass er ins Krankenhaus eingewiesen werden musste. Leider konnte dem Vater nicht mehr geholfen werden, sodass er am Silvesterabend verstarb. Da der Krankenhausaufenthalt sehr teuer war und die Familie, jetzt wo der Vater tot ist auch kein Einkommen mehr hat, musste die Mutter vergangene Woche mit ihren vier jüngsten Kindern umziehen. Sie wohnen jetzt in einer Villa, einem noch schlechteren Viertel als vorher, das noch dazu extrem weit von La Paloma entfernt ist. Das heißt, dass die Kinder jetzt täglich drei verschiedene Busse nehmen müssen, um zum Projekt zu gelangen, was zwangsläufig dazu führt, dass sie sehr viel unregelmäßiger kommen als vorher. Früher kamen die vier fast jeden Tag, heute waren sie das erste mal seit einer Woche wieder da...

Ich erzähle diese Geschichten nicht, um auf die Tränendrüse zu drücken oder einen Schockeffekt zu erzielen. Das ist wirklich das letzte, was ich damit erreichen will. Aber ich möchte gerne von meiner Arbeit im Projekt berichten und zu dem Projekt gehören nun mal die Kinder. Und diese Geschichten gehören zu den Kindern genauso, wie all die schönen, fröhlichen Momente die wir miteinander erleben. Zum Glück sind diese guten Tage fester Bestandteil des Alltags in La Paloma... Es gibt aber auch mal schlechte Tage; immer dann, wenn wieder eines der Kinder eine solche oder ähnliche Situation erlebt hat.
Und je mehr ich solche Geschichten höre, desto dankbarer bin ich für meine eigene Kindheit...