Montag, 9. August 2010

La Paloma - tu lugar!

Kurz vor meinem Rückflug wurde ich gebeten, einen Einleitungstext für die Homepage des Freiwilligenprogramms der IERP zu schreiben. Da ich auf diesen anderthalb Seiten relativ abschließend beschreibe, was La Paloma genau ist und wie ich meinen Freiwilligendienst dort in Argentinien erlebt habe, halte ich es für sinnvoll und angebracht, meinen Blog mit diesem Text zu beenden.
GRACIAS POR TODO !!!

„La Paloma- tu lugar! La Paloma- tu lugar!“
(deutsch: La Paloma – dein Ort!“)

Dieser Satz ist Schlachtruf, Lebensgefühl, Einladung und Appell zugleich.
Die Kinder von La Paloma stehen am Spielfeldrand, rufen ihn aus Leibeskräften, klatschen dazu rhythmisch in die Hände und feuern so ihre Freunde an, die gerade auf dem Fußballplatz die Ehre der Mannschaft verteidigen.

In dem Kinder-und Jugend-Tageszentrum „La Paloma“, das sich in San Justo/La Matanza befindet, werden Kinder aus armen und schwierigen sozialen Verhältnissen betreut. Dort leiste ich, vom Nordelbischen Missionszentrum in Hamburg entsandt, seit August 2009 meinen Freiwilligendienst. Wenn ich gefragt werde, was wir denn dort genau arbeiten, antworte ich immer: „Es wird versucht, den Kindern das zu geben, was ihnen zu Hause fehlt.“ Das können praktische Sachen sein, wie z.B. Essen, Zähneputzen, Kleidung oder auch Dinge wie ein offenes Ohr, eine Umarmung, Zeit und Aufmerksamkeit. Der fest etablierten Tagesablauf im Projekt – essen, duschen, spielen, aufräumen – bringt Struktur in das sonst meist von Chaos und Unstetigkeit geprägte Leben der Kinder. La Paloma bietet ihnen einen Ort frei von Gewalt, an dem sie ihre Grenzen austesten und sich entwickeln können. Ein Ort voller Gemeinschaft, Kreativität, Streitereien und Versöhnung, der alle Beteiligten, sowohl Kinder, Jugendliche als auch Mitarbeiter, jeden Tag auf's Neue die Werte des friedlichen Zusammenlebens lehrt.
Auch ich habe mich während meines Freiwilligendienstes in La Paloma weiterentwickelt. Angefangen damit, dass ich mir erst einmal meinen Platz, meine Aufgaben und vor allen Dingen meinen Respekt im Projekt erarbeiten musste. Zeitweise brauchte ich wirklich ein dickes Fell, um z.B. den Späße der Jugendlichen auf Kosten meiner zu Beginn noch fehlenden Spanischkenntnisse oder den „Wir-testen-mal-die-Nerven-der-Deutschen“-Wasserschlachten im Badezimmer standhalten zu können. Irgendwann war dann aber die anfängliche „Probezeit“ beiderseits überstanden und ich begann, aktiv in den verschiedenen Gruppen von La Paloma mitzuarbeiten, Aktivitäten vorzubereiten und hier und dort auszuhelfen, wenn Not am Mann war. Durch die tägliche Arbeit und den regelmäßigen Austausch mit meinen Kollegen habe ich in dem Jahr, besonders auf pädagogischer, zwischenmenschlicher Ebene, viel gelernt. Mein Geduldsfaden ist um einige Meter gewachsen, mittlerweile kann ich bei aufkommender Langeweile spontan 'n Spielchen aus dem Hut zaubern und ohne Schwierigkeiten die Gemütslage einiger Kinder aus der Ferne anhand ihrer Gangart erkennen.

Außerdem habe ich gelernt, Dinge im größeren Zusammenhang zu sehen. Die Kinder von La Paloma und die mit ihnen verbundenen Geschichten, haben den Problemen, den Ungerechtigkeiten dieser Welt ein Gesicht gegeben. Sie zeigen mir, wo es an Entwicklung, an Geld, an Perspektiven fehlt... Doch sie zeigen mir auch jeden Tag, wie schön man die gemeinsame Zeit gestalten kann und dass ich meinen Platz bei ihnen gefunden habe. Encontré mi lugar!

Nun werde ich versuchen, meine hier gemachten Erfahrungen mit nach Deutschland zu nehmen. Da ich als Freiwillige ein Jahr lang für die Kinder wie eine Botschafterin aus einer anderen Welt war, sehe ich mich nun auch in der Pflicht, dieses Engagement in die andere Richtung hin auszuüben, sprich: all das was ich hier gesehen, gelernt und erlebt habe, als Botschafterin mit nach Deutschland zu bringen und soweit es möglich ist, auch bei meinen Mitmenschen dort ein Bewusstsein für die eine Welt, für den einen -unseren- Ort zu schaffen.

Wenn also die Kinder beim Fußball im Chor rufen: „La Paloma – tu lugar!“, dann feuern sie nicht nur ihre Kameraden auf dem Spielfeld an, nein, sie rufen das hinaus, was sie durch La Paloma gelernt haben, was La Paloma für sie bedeutet. Sie plädieren für ein gemeinsames und offenes Miteinander, für Solidarität und Freundschaft!

von Merle Sievers

Ende und Anfang (?)

So meine Lieben,
ich bin wieder in Deutschland, mein Jahr in Argentinien ist zu Ende, daher wird das heute der letzte Eintrag auf meinem Blog sein.
Dennoch gibt es noch einige Sachen zu berichten, die in den letzten Wochen passiert sind.
Angefangen mit meinem letzten Kurzurlaub in Argentinen, dem Trip nach Mendoza. Mit meiner argentinischen Freundin Mayra bin ich für 4 Tage in die kleine Stadt in den Anden geflogen. Wir haben verschiedene Weingüter besucht, Ausflüge in die Berge gemacht, standen mit unseren Füßen im Schnee und haben insgesamt einfach unsere letzte gemeinsame Zeit genossen. Daher fiel mir der Abscheid wenige Tage später von ihr auch besonders schwer, da wir uns gerade durch diese Reise zum Schluß noch mal richtig gut kennengelernt haben. Mayra hat mir auf der einen Seite geholfen, Buenos Aires besser kennenzulernen, auf der anderen Seite habe ich über sie viele andere Argentinier kennengelernt, die mir alle zusammen einen anderen Zugang zur argentinischen Bevölkerung ermöglicht haben. Daher war sie für mich eine wichtige Person in dem Jahr und ich danke ihr für ihre Freundschaft!
Sie hat mir zum Abschied einen Brief geschrieben, von dem sie wollte, dass ich ihn ins Deutsche übersetzte und hier publiziere. Zitat: "Ich möchte, dass deine Familie und deine Freunde in Deutschland wissen, wie ich dich hier erlebt habe und was für einen tollen Einfluss du hier gehabt hast." Gesagt, getan. Zwar ist die Übersetzung etwas holprig (auf Spanisch klingt das ganze natürlich viel schöner und runder!), aber hier ist Mayras Brief:

"Die Erfahrung, mit Merle gemeinsam Mendoza zu erkunden, werde ich nie vergessen. Nicht nur weil wir diese wunderschöne Provinz kennengelernt haben, sonder auch, weil wir die Gesellschaft der jeweils anderen sehr genossen haben. Auf der einen Seite haben wir die Schönheiten meines Landes gesehen, auf der anderen Seite hat Merle auch viele Geschichten aus Deutschland erzählt und so ein Stück deutsche Schönheit hierher gebracht.
Wir haben viele schöne, aber auch einige weniger erfreuliche Gefühle geteilt, wodurch aber beide an Stärke gewonnen haben.
Schlussendlich hatten wir jedoch das Glück, gemeinsam so viele denkwürdige Momente erlebt zu haben, dass ich sie mit Worten gar nicht vollends beschrieben könnte.
Ich schreibe diesen Text über meine Erfahrungen mit Merle, damit ihre Familie und ihre Freunde eine Idee davon bekommen können, welch einen positiven Einfluss sie in meinem Leben gehabt hat, seit ich sie im Oktober letzten Jahres kennengelernt habe. Aber eigentlich soll dieser Brief ihr gewidmet sein, damit sie nie vergisst, was für eine besondere Person sie ist. Sie hat ein so großes Herz, das alle verzaubert und die Menschen dazu bringt, ihr zu vertrauen. Sie ist ehrlich, optimistisch, voller Spaß und Lebensfreude.
Dies zu schreiben, macht mich sehr traurig, denn es erinnert mich daran, dass sie in wenigen Tagen in ihr Land zurückkehren wird, das von meinem so weit entfernt ist.
Nichtsdestotrotz danke ich Gott von ganzem Herzen dafür, dass unsere Wege sich gekreuzt haben.
Merle, vielen Dank, dass du meine Freundin bist. Du kannst immer auf mich zählen. Deine Freundin Mayra"


Nach dem Kurzurlaub in Mendoza begann die Zeit der Verabschiedungen. Eine Zeit, die für mich sehr schwierig war und mir viel abverlangt hat. Mir kam es vor als hätte es fast jeden Tag ein anderes "letztes Mal" gegeben. Die letzte Chorprobe, der letzte Schnack mit der Waschfrau, die letzte Pizza bei San José, der letzte WG-Abend, ein letztes mal beim
Bolivianer um die Ecke Gemüse kaufen, das letzte mal Party machen mit den anderen Voluntären usw. Es waren Abschiede von Personen, von Orten, von Gewohnheiten, von Sachen... und ein Abschied alleine wäre ja gar nicht so schlimm gewesen, aber in den letzten zwei Wochen kamen diese ganzen Abscheide natürlich alle auf einmal. Auf der einen Seite also eine sehr schöne, weil sehr intensive, von Aufmerksamkeit geprägte Zeit, auf der anderen Seite aber auch eine sehr anstrengende Zeit. Zwischendurch bin ich dann auch ein bisschen krank geworden, hab mich aber wieder schnell aufpeppeln lassen. Es lebe die Pharmazie!


Abschiedsfeier mit meinem Chor



Ein Tribut an die tollsten Mitbewohner und die beste WG von Welt!

Der mit Abstand schwierigste Abschied war natürlich der von La Paloma. Doch auch der ist einigermaßen gut über die Bühne gegangen. Eigentllich war es ein ganz normaler Tag, so wie immer... mit Mittagessen, Fußball spielen und normal geplanten Aktivitäten. Am Ende haben die Kinder mir dann zur Merienda einen Bilderrahmen geschenkt, in dem sie all das gemalt hatten, was sie mit mir verbinden bzw. Dinge, die ich immer mit den Kindern gemacht hab (zähneputzen, duschen, spielen, malen...) Ich hatte als Abschiedsgeschenk eine riesige Pinnwand verziert und mit den schönsten Fotos aus dem Jahr beklebt. Über diesen irgendwie ganz normalen und am Ende doch ein bisschen besonderen letzten Tag in La Paloma habe ich mich am meisten gefreut!

Nichtsdestotrotz vermisse ich La Paloma schon jetzt. Vorgestern hat eine meiner Kolleginnen ihr erstes Kind bekommen und ich weiß genau, wie jetzt alle wahnsinnig aufgeregt sind, sich Geschenke überlegen und dieses Ereignis irgendwie gemeinsam feiern. Da wäre ich schon gerne dabei!
Aber das geht nicht - noch nicht!
Jetzt bin ich erst mal wieder hier in Deutschland, bei meinen Freunden, meiner Familie, die mich alle so lieb empfangen haben.
Und was kommt jetzt? Tja, das weiß ich auch noch nicht sooo genau. Wenn alles klappt, möchte ich zum Sommersemester 2011 anfangen "Online-Redakteur/in" in Köln zu studieren. Bis dahin werde ich hoffentlich ein oder zwei Praktika in dem Bereich machen. Außerdem kellner ich wieder in meinem alten Café und verdiene so ein bisschen Geld, um vielleicht noch mal ein bisschen auf Deutschlandreise zu gehen und verscheidene Freunde in verschiedenen Städten zu besuchen. Ich kann jedoch nicht ganz verneinen, dass meine Gedanken im Moment noch ziemlich viel in Argentinen hängen, ich ständig den Vergleich zwischen den Ländern ziehe und mich daher noch etwas fremd im eigenen Land fühle. Mein Stimmungsbarometer schwankt ständig zwischen "geil", "komisch" und "einsam"... Naja, mal gucken, was die Zeit so mit sich bringt.

An dieser Stelle, möchte ich mich einmal bei allen bedanken, die es mir mit ermöglicht haben, diesen Freiwilligendienst zu machen. Ich habe in dem Jahr so viel kennenlernen dürfen, habe so viel gesehen und erlebt und nicht zuletzt unglaublich viel gelernt! Ich werde versuchen, das Engagement aus dem Jahr auch in Deutschland weiterzuführen, ich will in die Kieler Schulen gehen und von meinem Freiwilligendienst erzählen, ich will versuchen, weiter Spenden für La Paloma zu sammeln und nicht zuletzt wird mein eigenes Denken und Handeln fortan von meinen Erfahrungen aus Argentinien geprägt sein.
Irgendwann werde ich bestimmt noch mal zurückkehren in das Land, das mir so gut gefallen hat, zu den Leuten, die mich so nett aufgenommen haben und nicht zuletzt nach La Paloma, der Ort, der mir am meisten bedeutet hat in dem Jahr, der mir am meisten gegeben hat.

Letzte Woche habe ich meine Nachfolgerin, die neue Freiwillige für La Paloma, kennengelernt. Nächste Woche steigt sie ins Flugzeug, genauso aufgeregt und gespannt wie ich es damals war. So schließt sich der Kreis... Ich wünsche ihr alles Gute, ein dickes Fell und ein ebenso tolles Jahr, wie ich es erleben durfte!
Vielen Dank an alle, die hin und wieder mal meinen Blog gelesen und mich so ein stückweit in meinem Jahr begleitet haben. Es ist schön zu wissen, dass man sich die Mühe des Schreibens nicht nur für sich selbst gemacht hat, sondern es tatsächlich auch Menschen gab, die meine Einträge mit Freude gelesen haben, bzw. teilweise auch "nur" meine Bilder angeguckt haben. Über ein abschließendes Feedback würde ich mich sehr freuen, da ich bis heute schwer einschätzen kann wer/wie viele meinen Blog tatsächlich verfolgt haben. Schreibt mir doch einfach mal! merlesievers@web.de
Wenn jemand eine Idee hat, wo oder wie ich von meinem Jahr berichten könnte, darf er sich ebenfalls gerne bei mir melden. Ich bin dankbar für jede Möglichkeit!

Ich wünsche euch alles Gute für die Zukunft,
eure Merle