Dienstag, 6. Oktober 2009

Freizeit, Wochenenden, Eigenarten und Aktionen

Hallo ihr Lieben,
jetzt gerade ist es bei mir 23 Uhr und ich liege faul in Joggingklamotten auf unserem durchgelegenen WG-Sofa. Aber immerhin finde ich mal wieder Zeit ein bisschen was von Argentinien zu erzählen.
Gerade in den letzten Wochen sind mir immer mehr Eigenarten der Landesbevölkerung aufgefallen. Wenn man beispielsweise durch die Straßen fährt, entdeckt man, besonders in den Barrios weiter außerhalb, des Öfteren irgendwelche Autos, die am Straßenrand parken und auf deren Dach eine leere Plastikflasche steht. Die Flasche demonstriert den Leuten, dass das jeweilige Auto zu verkaufen ist. Oft klebt dann irgendwo im Fenster ein Zettel mit einer Telefonnummer, die man bei Interesse anrufen kann. Naja, aus dieser "Sitte" haben wir uns neulich einen kleinen Spaß gemacht und mal eben ne leere Wasserflasche auf so n schicken Ford-Schlitten gestellt ;)
Des Weiteren ist die große Mehrheit der Argentinier streng gläubig. Auf meinem Weg zur Arbeit fährt der Bus immer an einer Kirche vorbei und jedes, wirklich jedes Mal zähle ich mindestens 4-5 Leute im Bus, die sich in dem Moment bekreuzigen oder ein kurzes Gebet murmeln. Außerdem befindet sich unsere Wohnung neben einer Kirche, was heißt, dass so gut wie immer Leute bei uns in der Straße stehen und durch so einen kleinen Sehspalt einen Altar der Seitenkapelle anbeten.
Auf mich wirkt diese strenge Pflege des Glaubens irgendwie ein bisschen befremdlich und übertrieben. Aber wahrscheinlich darf ich meine Maßstäbe der deustchen, evangelischen Kirche nicht an den lateinamerikansichen, überwiegend katholischen Glauben ansetzen... Mal gucken, wie ich in ein paar Monaten zu dem Thema stehe.


Jetzt etwas weniger vom gesellschaftlichen Leben der Argentinier und dafür mehr vom gesellschaftlichen Leben der Merle:
Ich hab mir in der letzten Zeit einige Aktivitäten neben der Arbeit gesucht, sodass ich mittlerweile schon fast wieder den üblichen "Freizeitstress" erreicht habe, den ich auch zu Hause schon immer hatte. Ich gehe zum Beispiel 2x die Woche in ein Gymnasio (spanischer und schönerer Ausdruck für "Fitnessstudio"), welches sich bei uns um die Ecke befindet, um dort einigermaßen regelmäßig ein bisschen Sport zu machen. So ganz ohne Bewegung lässt sich's hier bei den ganzen Alfajores und Facturas (süße, klebrige Leckerein, die einen an jeder Straßenecke verfolgen) nämlich nicht leben, vorausgesetzt man will nicht so fett wie ein argentinisches Mastrind werden. Außerdem werden in dem Gymnasio solche lustigen Fitnesskurse für Frauen angeboten, sodass dort täglich mehrere Damen zwischen 20 und 60 versuchen, ihre kleinen oder größeren Bäuchlein wegzutrainieren. Zwar kostet es mich jedes Mal viel Selbstüberwindung, mich aufzuraffen und dorthin zu gehen, aber wenn ich dann erst mal da bin, kommt man schnell mit den anderen Mädels in Gespräch, sodass man gemeinsam ein bisschen über die Anstrengung stöhnt und die Stunde dann doch relativ schnell vergeht.
Des Weiteren habe ich von einer meiner Vorgängerinnen, die neulich zu Besuch im Projekt war den Tipp für eine Tanzschule in BsAs bekommen, sodass ich inzwischen schon 3x Tango tanzen war !! (an dieser Stelle: Danke Anna !) In dieser wirklich hübschen Tanzschule, die sich in einem alten Stadthaus in dem Schickeria-Viertel Palermo befindet, unterrichten überwiegend junge Lehrer, was dazu führt, dass auch das Publikum relativ jung ist. Da ich ja nie zu den großen Tänzerinnen gehört habe, bin ich schon mit einem etwas mulmigen Gefühl in die erste Stunde gegangen. Zwar hab ich mit 14 irgendwann mal die Standardtanzkurse absolviert, aber so richtig erinnern konnte ich mich an den Tango nicht mehr. Das war allerdings auch gar nicht nötig, da die Argentinier den Tango sowieso ganz anders tanzen und auch ganz anders unterrichten, als ich es noch aus Gemindzeiten kannte. Wir fingen mit Atemübungen an, dann folgten Übungen zur Gangart, sodass man ein Gefühl für die Tangomusik bekam und anschließend wurde die Haltung (sowieso das A und O beim Tango!) trainiert. Die Schritte kamen dann irgendwann von ganz alleine... Schon lustig, wie man auf einmal ganz schnell die Scheu vor dem Gegenüber verlieren kann. Auf jeden Fall hat mir das Tanzen bis jetzt viel Spaß gemacht, sodass ich in nächster Zeit bestimmt noch öfter hingehen werde. Vielleicht traue ich mich dann ja sogar bald mal auf einen dieser öffentlichen Tanzabende, hier "Milongas" genannt.
Gestern war ich außerdem das erste mal bei einer Chorprobe eines Chores, von dem ich über mehrere Ecken mal ganz entfernt etwas gehört hatte. Irgendwie hab ich mir dann die Nummer von dem Chorleiter besorgt und den mal angerufen. Leider hat der Gute am Telefon so undeutlich gesprochen, dass ich nur Ort und Zeit der nächsten Probe verstanden habe. So hab ich dann erst vor Ort erfahren, dass es sich bei dem Chor um den Unichor der hiesigen ökonomischen Fakultät handelte. Wie auch immer, jedenfalls haben mir die Probe, der Chor und die Stücke sehr gut gefallen und ich hab gemerkt, dass mir das regelmäßige Singen in den letzten Monaten schon irgendwie gefehlt hat. Mir wurde auch gleich die Mitgliedsliste in die Hand gedrückt, auf die ich mich eintragen sollte, sodass ich von nun an wohl jeden Montagabend zur Chorprobe gehen werde.
Nebenbei war es wieder ein großes Abendteuer, das erste Mal den Weg sowohl zur Tanzschule als auch zur Uni zu finden. Da läuft man wirklich alleine, nur mit dem Stadtplan "GuiaT" bewaffnet, durch die unbekannten Straßen, zählt die Quadras, sucht die Subtestationen, verfolgt die Buslinien und freut sich jedes mal, wenn man am gewünschten Ziel ankommt, ohne sich zu verlaufen... Abenteuer Großstadt!


Nun ein kurzer Wochenendereport: Vorletztes Wochenende waren wir Samstagabend mit mehreren Leuten auf einem Reggaekonzert, wo die Band eines Freundes, von Freunden, von Freunden... auftreten sollte. Da es um 22 Uhr losgehen sollte, kamen Laura und ich, die wir zu spät waren, schon relativ abgehetzt um halb 11 dort an. Zu der Zeit saß der Sänger der Band selbst noch vor der Tür und hat ganz gechillt sein Bierchen getrunken. Angefangen zu spielen haben sie dann erst um Mitternacht... aber so was ist im Rahmen der argentinischen Zeitwahrnehmung durchaus normal, ja sogar fast pünktlich. Auf jeden Fall war das wieder eine sehr typische Situation: Die doofen Deutschen stressen sich ab, weil sie ne halbe Stunde zu spät sind und die Argentinier chillen erst mal gemütlich ne Runde, trinken Mate und lassen die Zeit verstreichen. Das Konzert entpuppte sich jedenfalls als wirklich cooles, kleines Clubkonzert mit guter Musik und guten Bierpreisen. Ein Liter Bier für 10 Peso, also ca. 1,80€. Da können die diesjährigen Oktoberfestpreise nicht mithalten, oder? Allerdings waren nicht nur die Bierpreise, sondern auch die Stimmung wirklich gut. Der Raum (etwa vergleichbar mit der Kieler Schaubude) war zwar mega überfüllt, aber irgendwie hat trotzdem jeder Platz zum Tanzen gefunden.
Das vergangene Wochenende habe ich dann, wie bereits angekündigt, in Baradero verbracht. Dort hat das Projekt von zwei anderen Freiwilligen hundertjähriges Jubiläum gefeiert. Für das Festwochenende wurden im Voraus an die 500 Gäste erwartet, schlussendlich waren wohl an die 900 da. Das Fest ähnelte insgesamt einem deutschen Gemeindefest - Gottesdienst, Kinderspiele, Tombula, Verkaufsstände und viel Essen. Das Projekt hatte für das Essen übrigens extra eine professionelle Firma engagiert, die dann für die ganzen Leute Asado und Pollo gegrillt hat (Fleisch und Hühnchen). En serio: Ich habe noch nie solche Berge von Fleisch gesehen !! Wahnsinn !! Das war wirklich beeindruckend zu sehen, mit welcher Rutine und welchem Gechick so ne Hand voll älterer Herren diesen Fleischberg bewältigt und auch tatsächlich sehr lecker zubereitet haben. Wenn die Argentinier eins können, dann viele Leute gleichzeitig mit Fleisch versorgen ;) Das Projekt in Baradero, dessen Gelände wirklich schön und riesig groß ist, liegt mitten im Grünen. Überall wachsen irgendwelche Dinge, die man Essen kann: Zitronen, Nüsse, Pomelos, Kartoffeln... Außerdem gibt es viel Natur, große Wiesen und einen Pool, der bei dem Bombenwetter, das wir am Wochenende hatten, auch ausgiebig genutzt wurde. Allerdings brachte die von mir ja heiß ersehnte Natur auch die Mücken mit sich, sodass nun meine ganzen Arme und Beine zerstochen sind (insgesamt neun Stiche!). Bis vor einem Jahr war das Projekt in Baradero ein Heim der deutsch-argetninischen Gemeinde für Jungen und Mädchen, sodass viele ehemalige Heimkinder zum Jubiläumsfest angereist waren, mit denen ich mich auch ein paar mal unterhalten habe. Schon irre, so alte Menschen zu sehen (einige waren über 80) die fließend und perfekt Deutsch und Spanisch sprechen können... Auch die einzelnen Lebensgeschichten der Damen und Herren, weshalb und wann sie ins Heim gekommen sind, wie sie teilweise nach dem Krieg von Deutschland nach Argentinien ausgewandert sind usw. waren zwischendurch wirklich interessant... Da habe ich auch wieder mal gemerkt, wie sehr dieses Land von den Einflüssen seiner europäischen Einwanderer geprägt ist.

So, zum Schluss noch ein paar Sätze zu meiner Arbeit:
In den letzten Wochen bin ich immer besser ins Projekt reingekommen, was hauptsächlich meinen Fortschritten in Sachen Sprache zu verdanken ist. Klar, je besser ich Spanisch kann, desto besser kann ich schimpfen, Befehle erteilen oder Diskussionen führen, wer denn jetzt mit Abwaschen dran ist ;) Trotz der Verbesserung, will ich mich diese Woche doch mal auf die Suche nach einer Sprachschule o.ä. begeben, um die Grammatik noch ein bisschen besser zu lernen. Mittlerweile habe ich die Kinder immer besser kennengelernt, sodass sie mir schon richtig ans Herz gewachsen sind. Da ich mich inzwischen auch viel besser und mehr mit ihnen unterhalten kann, akzeptieren sie mich langsam und finden Vertrauen zu mir, was ein sehr schönes Gefühl ist.


Vorletzte Woche haben wir mit unseren "Kleinen" (den 4 bis 8-jährigen) einen Ausflug in den Zoo von Palermo gemacht, da sie in den vergangenen Wochen inhaltlich zum Thema "Animales- also Tiere" gearbeitet haben. Für viele Kinder war es as erste Mal, dass sie aus ihrem Barrio raus und in die Großstadt nach Capital gefahren sind. Der Tag war insgesamt wirklich schön - Wetter war super, Kinder gut drauf und der Zoo war auch wirklich schön, wenn auch die Tierhaltung, meiner Meinung nach, teilweise nicht ganz artgerecht war. Aber da gelten hier wohl ebenfalls andere Richtlinien als in Deutschland.

Vergangenen Freitag haben wir in La Paloma den "Marathon de Lectura" gefeiert, eine Art Projekttag zum Thema "Bücher/Geschichten/Lesen", der von den Mitarbeitern lange im Voraus geplant und organisiert wurde. Wir haben die Kinder in drei Gruppen eingeteilt und dann in entsprechend dekorierten Salons Geschichten zu den Themen "Sagen&Legenden", "Grusel- und Geistergeschichten" und "Kindergeschichten" vorgelesen. Außerdem haben sich alle Maestros verkleidet, sodass ganz La Paloma an dem Tag wie verwandelt wirkte. Auf jeden Fall war der "Marathon de Lectura" ein voller Erfolg, die Kinder fanden's super!
In dem neuen Fotoalbum hab ich auch endlich mal Fotos von La Paloma und unseren Aktionen online gestellt. Ich dachte mir, ich schreibe mal die Namen bzw. Spitznamen der Kinder und Betreuer dazu, damit ihr mal hört, wie die Leute hier so heißen ;) Lenas und Lisas gibt's hier nämlich nicht so viele...

So, eigentlich wollte ich noch von dem Renovierungswahn meiner Mitbewohner (die beiden, bzw. eher Simon, haben nämlich über's Wochenende ihren monströsen Schrank zerkloppt und nun ihr Zimmer neu eingerichtet) und dem Tohuwabohu der argentinischen Behörden bzgl. unseres Visums erzählen, aber dazu habe ich jetzt keine Lust und keine Energie mehr ;)Mittlerweile ist es auch schon 1 Uhr und ich schließlich muss ich ja morgen wieder früh *hust* aufstehen und arbeiten.
Abrazos, liebste Grüße
eure Merle

PS: Ach ja, eins noch, wem Schwarz-Gelb auch nicht gefällt: Wandert doch einfach aus, kommt zu mir nach Argentinien =)

Donnerstag, 1. Oktober 2009

... und raus !

Wollte nur kurz erzählen, dass ich über's Wochenende dem Großstadtjungel entfliehe und nach Baradero, einem Ort im Großraum BsAs fahre. Dort feiert ein anderes Projekt der IERP 100-jähriges Jubiläum, wozu alle Voluntäre eingeladen worden sind. Natürlich find ich's auch interessant, andere Projekte kennenzulernen, aber vor allem freue ich mich darauf, mal aus der Megacity (die ich eigentlich total toll finde!) rauszukommen und vielleicht mal wieder grüne Bäume und vor allen Dingen HORIZONT zu sehen... Das fehlt mir schon ein bisschen. Da bin ich halt doch irgendwie ein Kind der Ostsee. Wenn ich wieder da bin, berichte ich dann von den letzten Wochen.
Bueno, hasta luego Chicos!